56. ITH-Konferenz: Migration weltweit: Linke Strategien, migrantische Akteur:innen, und kapitalistische Interessen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart

23.-25. September 2021, Linz

Die 56. ITH Konferenz hätte von 24.-26. September 2020 stattfinden sollen. Aufgrund von Covid-19 mussten wir die Konferenz um ein Jahr auf 23.-25. September 2021 verschieben (hier finden Sie die Mitteilung des Vorstands vom März 2020 die Verschiebung der Konferenz betreffend).  

Überblick

Veranstaltet von:
Internationale Tagung der HistorikerInnen der Arbeiter- und anderer sozialer Bewegungen (ITH) mit freundlicher Unterstützung der Kammer für Arbeiter und Angestellte Oberösterreich, Kammer für Arbeiter und Angestellte Wien, der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung, dem Karl Renner-Insitut und der Stadt Linz.

Vorbereitungsgruppe:
Rolf Bauer (ITH, Wien), Josef Ehmer (Universität Wien), Simon Goeke (Münchner Stadtmuseum), Dirk Hoerder (Wien), Marcel van der Linden (International Institute of Social History, Amsterdam), Lukas Neissl (Universität Wien, Central European University), Susan Zimmermann (ITH, Wien)

Zielsetzungen:
Nur wenige Themenfelder sind politisch derart aufgeladen wie „internationale Migration“. Auf der 56. ITH-Konferenz möchten wir das Thema aus einer globalen und historischen Perspektive diskutieren. Sich verändernde Beschäftigungsperspektiven und Einkommensungleichheiten innerhalb und zwischen Staaten und Regionen werden dabei als Bezugspunkt dienen. Die Handlungsmacht von Migrierenden und das Verhältnis der politischen Linken zur Migration werden in diesem weiten Rahmen kontextualisiert und diskutiert. Von besonderem Interesse sind die Wechselbeziehungen zwischen mobilem Kapital und mobiler Arbeit, sowie die verschiedenen Strategien, die Beschäftigte und Organisationen der Arbeiter:innenbewegung auf der einen Seite, und Unternehmen auf der anderen Seite wählten, um die mit diesen Prozessen einhergehenden Herausforderungen, in der Epoche von der frühen Neuzeit bis heute, zu bewältigen. Wir bedienen uns einer breiten Definition von Migration, die freie und unfreie Arbeit, temporäre und dauerhafte Formen der Migration sowie die gesamte Bandbreite der Rechtsstellung von Migrant:innen umfasst – von Sans Papiers und Asyl(be)werber:innen/Geflüchteten bis zu klassischen Arbeitsmigrant:innen.

In den vergangenen zwei Jahrhunderten sind die internationalen Lohnunterschiede enorm angewachsen und Arbeitsmärkte sind in mehr oder weniger undurchlässige Segmente aufgeteilt, wobei Migrant:innen oft in Niedriglohnsektoren und sonstigen spezifisch abgrenzbaren Sektoren (z.B. Gesundheitswesen) arbeiten. In den Zuwanderungsräumen neigen Beschäftigte in den höheren Segmenten sowie Teile der politischen Linken dazu, die Niedriglohnsektoren als Bedrohung zu sehen. Sie können auf schlecht bezahlte KonkurrentInnen auf dem Arbeitsmarkt mit drei unterschiedlichen – aber vielfach verknüpften – Mitteln reagieren: 1.) Ausschluss, d.h. der Versuch Einwanderung zu stoppen; 2.) Institutionalisierung, d.h. die Beschränkung von Niedriglohnbeschäftigten auf bestimmte Berufe und Tätigkeiten oder 3.) Solidarität, d.h. der Versuch niedrige Löhne anzuheben; dies umfasst auch Forderungen nach globaler Umverteilung (auf Kosten des Kapitals/der besitzenden Klassen und/oder auf Kosten der arbeitenden Klassen), um die Lebensbedingungen in den Auswanderungsländern zu verbessern. In den Auswanderungsregionen wurde und wird die Abwanderung von niedrig Qualifizierten oft gefördert. Problematischer wird hier die Migration von dort ausgebildeten Fachkräften bewertet. Insgesamt besteht keine Gesetzmäßigkeit, dass der Zuwachs des Arbeits- kräfteangebots für die Arbeiter:innenbewegung automatisch schwierigere Kampf- bedingungen zur Folge hat, während Arbeitskräftemangel zu Lohnerhöhungen und verbesserten Arbeitsbedingungen führt. Eine erste Gruppe von Fragen lautet daher:

Unter welchen Bedingungen präferieren besser bezahlte Arbeitende welche Reaktion? Welche Strategien verfolgte die Arbeiter:innenbewegung in Ein-und Auswanderungsregionen und wie begründete sie diese? Wie reagieren Arbeitsmigrant:innen auf diese Varianten?

Aus der Perspektive von Arbeitsmigrant:innen ergibt sich eine zweite Gruppe von Möglichkeiten bzw. können sie versuchen, unterschiedliche Strategien zu verfolgen, sobald sie migrieren: 1.) Dauerhafte Einwanderung der Arbeitenden selbst und, sofern möglich, ihrer Familien; 2.) Pendelmigration in unterschiedlichen zeitlichen Rhythmen, abhängig von der Entfernung zwischen Arbeitsort und Zuhause und den Anforderungen der Arbeit. Selbstverständlich überschneiden sich diese Möglichkeiten, und die Pläne und Strategien von Migrierenden können sich aufgrund veränderter Bedingungen, persönlicher Erwartungen und Präferenzen oder Erfahrungen ändern. (Potenzielle) Migrant:innen entwickeln außerdem Strategien, um auf Migrationspolitiken zu reagieren, diese zu umgehen oder zu modifizieren; konfrontiert mit restriktiven Politiken können sie beispielsweise als Flüchtlinge migrieren oder grenzüberschreitende Ehen eingehen. Alternativ können sich potenzielle MigrantInnen dafür entscheiden, ihr Augenmerk auf die Verbesserung ihrer Bedingungen in ihren Auswanderungsländern zu richten. Sie können sich dabei einer Reihe an Strategien bedienen: 1.) kollektiver Kampf gegen die Zer- störung von Lebensgrundlagen vor Ort, und für verbesserte Arbeitsbedingungen und höhere Löhne; 2.) individuelle Strategien des sozialen Aufstiegs; 3.) Forderungen nach globaler Umverteilung (auf Kosten des Kapitals/der besitzenden Klassen und/oder auf Kosten von Arbeitenden in privilegierten Ländern). Eine zweite Gruppe von Fragen befasst sich daher mit den folgenden Themen: Unter welchen Bedingungen suchen sich ArbeitsmigrantInnen welcher Strategie zu bedienen? Wie werden ihre Entscheidungen durch die Präferenzen und Handlungen ihrer autochthonen KonkurrentInnen auf dem Arbeitsmarkt beeinflusst? Wie hat sich die politische Linke, einschließlich migrantischer Organisationen, auf die Handlungsmacht von MigrantInnen bezogen?

Drittens geht es um die Strategien, welche die Arbeitgeber:innen verfolgen. Lohnsteigerungen im Allgemeinen und steigende Löhne in den Niedriglohnsektoren im Besonderen können Unternehmen dazu veranlassen, mindestens sechs verschiedene Strategien zu entwickeln, um die Rentabilität aufrechtzuerhalten: 1.) die geographische Verlagerung der Produktion oder bestimmter Produktionskomponenten in Regionen mit billigeren Arbeitskräften und weniger regulierten Arbeitsverhältnissen (Güterketten); hierbei kann das Kapital diverse Strategien entwickeln, um sich vorteilhafte Regelungen in Hinblick auf Kapitalbewegungen und Arbeitsrecht zu sichern; 2.) die Verringerung des Arbeitskräftebedarfs durch Umgestaltungen von Arbeitsprozessen; 3.) eine Verlagerung der wirtschaftlichen Aktivitäten hin zu neuen Wirtschaftszweigen und Produktpaletten; 4.) die Verlagerung von Kapital aus Produktion und Handel in den Finanzsektor („Finanzialisierung“); 5.) die Umstellung auf andere Arbeitsverhältnisse, z.B. Selbstständigkeit; 6.) die Beeinflussung von Migrationspolitiken und anderen politischen Entscheidungen, um Zugang zu zusätzlich zuwandernden billigen Arbeitskräften zu erlangen. Eine dritte Gruppe von Fragen befasst sich daher mit folgenden Zusammenhängen: Unter welchen Bedingungen entscheidet sich das Kapital für geographische Verlagerungen oder geographische Neuzusammensetzungen? Unter welchen Bedingungen entscheidet es sich für eine der anderen Strategien? Wie hat die politische Linke auf diese unterschiedlichen Strategien reagiert?

Die Verlagerung von Kapital und die Mobilität der Arbeitskräfte standen und stehen in einem engem Wechselverhältnis. So waren Bevölkerungswachstum und Bewegungsfreiheit oft wesentliche Voraussetzungen für neue Kapitalakkumulation. Gleichzeitig hat die Abwanderung von Kapital sowohl für die ehemaligen und neuen Standorte als auch für autochthone und migrantische Arbeitskräfte soziale Auswirkungen. An den ehemaligen Standorten wird die Arbeitslosigkeit wahrscheinlich steigen. Die Familien arbeitsloser Arbeiter:innen können auf unterschiedliche Weise auf den Verlust des Arbeitsplatzes reagieren, z.B. mit verstärkten Subsistenzaktivitäten; migrantische Arbeiter:innen können möglicherweise in ihre (frühere) Heimat zurückkehren – vielleicht auch angezogen durch Kapitalverlagerungen in ihre Heimatregionen. Beide Gruppen könnten sich auch bemühen, in aussichtsreichere Regionen – anderswo im Inland oder im Ausland – zu migrieren, es würden also neue Migrationsbewegungen entstehen. Zugleich werden die neuen Produktionsstandorte, die durch die Verlagerung entstehen, oftmals nicht nur Arbeiter:innen aus der Nähe, sondern auch aus weiter entfernten Orten anziehen. Somit können Kapitalbewegungen zu (neuen) Bewegungen von Arbeitskräften führen. Die vierte Gruppe an Fragen ergibt sich damit wie folgt: Unter welchen Bedingungen führen Kapitalbewegungen zu Abwanderung und/oder Zuwanderung? Wie haben Migrationspolitiken und andere politische Absichten und Entscheidungen diese Prozesse beeinflusst? Inwiefern haben Migrationsbewegungen die Verlagerung von Kapital überhaupt erst ausgelöst?

Die Konferenz beabsichtigt diese Fragen auf empirischer und konzeptueller Ebene zu diskutieren und lädt Beiträge ein, die empirische Fallstudien oder konzeptionelle Untersuchungen innerhalb des größeren Rahmens der Diskussion über Kapital und Arbeit in Bewegung, wie sie in diesem Call for Papers zusammengefasst sind, kontextualisieren. Wie haben Arbeiter:innenbewegungen und/oder anderen soziale Bewegungen in den Ein- und Auswanderungsregionen die Frage der räumlichen Mobilität von Kapital und Arbeit diskutiert und konzeptualisiert? Welche Rolle spielten und spielen diese Bewegungen für die Ausformung der Wechselbeziehungen zwischen der Mobilität von Arbeit und Kapital? Welche Rollen haben die Politiken von Staat, Kapital und anderen Akteur:innen in der Ausformung dieser Wechselbeziehungen gespielt? Welche Rolle spielten und spielen die Strategien und Handlungsweisen mobiler Arbeitskräfte? Wie kann empirische Forschung unser Verständnis der Wechselwirkung zwischen der Im/Mobilität von Kapital und der Im/Mobilität von Arbeit weiterentwickeln? Welche Migrations- und Arbeitsmarkttheorien werfen Licht auf die wie auch immer ungleiche Beziehung zwischen im/mobilem Kapital und im/mobilen ArbeiterInnen? Auch Beiträge mit transnationalen, vergleichenden, regionalen oder globalen Perspektiven und Themen sind herzlich willkommen.

Veranstaltungsort:
AK-Bildungshaus Jägermayrhof, Römerstraße 98, 4020 Linz, Österreich

Linz ist eine Industriestadt ca. 180 km westlich von Wien und eines der historischen Zentren der österreichischen ArbeiterInnenbewegung. Der Österreichische Bürgerkrieg im Februar 1934 zwischen den austrofaschistischen Milizen (“Heimwehren”) und dem Bundesheer auf der einen und der paramilitärischen Organisation der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, dem Republikanischen Schutzbund, auf der anderen Seite begann in Linz. Die Umgebung des Jägermayrhofs war eines der Zentren der Kämpfe.

Kontakt:
Laurin Blecha
International Conference of Labour and Social History (ITH)
c/o Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
Altes Rathaus, Wipplinger Str. 6/Stg., A-1010 Wien, Österreich
e-Mail: conference[a]ith.or.at

Informationen zur Anreise

Eine Auswahl an Informationen, die für Ihre Anreise sowie Ihren Aufenhalt in Linz nützlich sein könnten:

Anreise:

Anreise nach Linz – Allgemeine Information

ÖBB – direkte Zugverbindungen von “Flughafen Wien” oder “Wien Hauptbahnhof” nach “Linz Hauptbahnhof”
Westbahn – direkte Zugverbindungen von “Wien Hauptbahnhof” oder “Wien Westbahnhof” nach “Linz Hauptbahnhof”

Blue Danube Airport Linz – Bus, Bahn oder Taxi in die Linzer Innenstadt

Sobald Sie in “Linz Hauptbahnhof” angekommen sind, können Sie entweder mit öffentlicen Verkehrsmitteln oder mit dem Taxi (ca. EUR 12-14) zum Konferenzort fahren.

Wenn Sie von “Linz Hauptbahnhof” mit öffentlichen Verkehrsmitteln weiterfahren, nehmen Sie die Straßenbahnlinien 1 oder 2 (Richtung “Universität”) oder die Straßenbahnlinien 3 oder 4 (Richtung “Landgutstraße”) und fahren 4 Stationen bis “Taubenmarkt”. Dort steigen Sie in die Buslinie 26 (Richtung “Stadion”) um, fahren 5 Stationen und steigen bei “Jägermayr” aus. Die Bushaltestelle liegt unmittelbar neben dem Konferenzort.

Die Straßenbahnlinien von “Linz Hauptbahnhof” verkehren regelmäßig. Die Buslinie 26 fährt die Station “Taubenmarkt” alle 30 Minuten an. Der letzte Bus fährt um 19:07. (Busfahrplan).

Tagungsort:

Jägermayrhof – Bildungshaus der Arbeiterkammer Oberösterreich

Mehr:

Stadt Linz – Informationen der Stadt Linz (auch für TouristInnen)
Wien-Tourismus – Informationen des Wiener Tourismusverbandes

Fotos

Fotos: David Schlauss und Birgit Mock