Nachruf Josef „Sepp“ Ehmer (1948 – 2023)
Sepp wurde am 7. November 1948 in Gschwandt bei Gmunden in Oberösterreich geboren. Seine Eltern waren politisch als KommunistInnen in der Zeit des Nationalsozialismus aktiv und er und sein Bruder wuchsen nach dem Krieg in proletarischen Verhältnissen auf. Im Jahr 1968 begann er das Studium der Geschichte und Germanistik an der Universität Wien, das er 1977 mit einer Doktorarbeit zur Familienstruktur und Arbeitsorganisation im frühindustriellen Wien abschloss. Bald wurde er Universitätsassistent und Dozent am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien. Nach seiner Habilitation, die sich mit Heiratsverhalten, Sozialstruktur und ökonomischem Wandel auseinandersetzte, war er von 1993 bis 2005 ordentlicher Universitätsprofessor für Allgemeine Neuere Geschichte an der Universität Salzburg. Im Jahr 2005 übernahm er die Nachfolge Michael Mitterauers als Universitätsprofessor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien, die er bis zu seiner Emeritierung 2016 innehatte.
Der ITH war Sepp eng verbunden, von 1993 bis 2022 gehörte er dem Vorstand an. Im Vorstand und für die Arbeit der ITH insgesamt war Sepp über Jahrzehnte eine tragende Säule. Stets aufmerksam, und zwar vom kleinsten Detail bis zum großen Ganzen, brachte er sich zentral in die Erstellung und Diskussion von Konferenzaufrufen und -programmen ein, immer mit konzeptuell und praktisch wohldurchdachten, von immenser Expertise getragenen Vorschlägen und Ideen. In der ITH hat Sepp in vieler Hinsicht, und immer in kollegialer Verbundenheit, „Fäden gezogen“. Vielen der ITH Zugewandten ist die Organisation ohne Sepp schwer vorstellbar. Zuletzt war Sepp 2021 Teil der Vorbereitungsgruppe der 56. ITH-Konferenz, die sich mit dem Themenkomplex „Migration weltweit: Linke Strategien, migrantische AkteurInnen, und kapitalistische Interessen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart“ auseinandersetzte.
Sein wissenschaftliches Hauptinteresse galt dem langfristigen sozioökonomischen Wandel in der europäischen Neuzeit und der Geschichte der Arbeit, aber auch die Historische Migrationsforschung, Bevölkerungsgeschichte und Historische Demographie zählten zu seinen Forschungsgebieten. Josef Ehmer bildete einen Knotenpunkt zahlreicher internationaler Kontakte, die er unter anderem bei seinen zahlreichen Forschungsaufenthalten knüpfte. So war er etwa an der LMU München (1974–1975), an der University of Cambridge (1987–1989) und am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen (1984–1986) als Forschender tätig, sowie als Gastprofessor am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin (1990–1991), am European University Institute in Florenz (1997–1998 und 2002–2003), an der University of Cambridge (2008) und am Internationalen Geisteswissenschaftlichen Kolleg „Arbeit und Lebenslauf in globalgeschichtlicher Perspektive“ (re:work) an der Humboldt-Universität zu Berlin (2010–2011). Hier war er auch seit 2011 associate fellow.
Seine Forschungsarbeiten, Projekte, Vorträge und Publikationen hatten stets einen Bezug zur Gegenwart und stießen auf breite Resonanz. Interdisziplinarität und gesellschaftliche Relevanz waren für Josef Ehmer niemals nur Worte, sondern gelebte wissenschaftliche Praxis in Forschung und Lehre. Auch die Förderung von jungen KollegInnen, denen er Chancen in der akademischen Arbeitswelt eröffnete, zeichneten Sepp als Menschen aus. In Sepp verbanden sich ausgleichende Persönlichkeit und Freundlichkeit mit leidenschaftlichem und unstillbarem Engagement für die Wissenschaft und die Menschen und Institutionen, die sie tragen.
Anlässlich von Sepps Ableben bitten wir alle, die sich mit ihm verbunden fühlen und Erinnerungen an ihn teilen möchten, kurze Texte zu verfassen, die auf Postern bei der diesjährigen ITH-Konferenz 2023 gezeigt werden. Wir bitten um Zusendung an conference@ith.or.at bis zum 15. Juli.
Therese Garstenauer (ITH Präsidentin)
Susan Zimmermann (ITH Präsidentin 2014-2022)
Laurin Blecha (Generalsekretär)