55. ITH-Konferenz: Arbeit auf dem Land: AkteurInnen, Gesellschaften und Umwelten

5.-7. September 2019, Linz

Überblick

Veranstaltet von:
Internationale Tagung der HistorikerInnen der Arbeiter- und anderer sozialer Bewegungen (ITH) mit freundlicher Unterstützung der Kammer für Arbeiter und Angestellte Oberösterreich, der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Rosa-Luxemburg-Stiftung, dem Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Johannes Kepler Universität Linz, dem Institut für Geschichte des ländlichen Raumes, St. Pölten, und der Stadt Linz

Vorbereitungsgruppe:
Lisa Bolyos (Wien), Josef Ehmer (Universität Wien), Winfried R. Garscha (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes/DÖW), Dirk Hoerder (Wien), Erich Landsteiner (Universität Wien), Ernst Langthaler (Johannes Kepler Universität Linz), Lukas Neissl (ITH, Wien), Silke Neunsinger (Labour Movement Archives and Library, Stockholm), Brigitte Pellar (Wien), Susan Zimmermann (ITH, Wien)

Zielsetzungen:
Die ITH-Konferenz 2019 beabsichtigt die Beziehungen zwischen der Geschichte der Arbeit, der Arbeitenden und der ArbeiterInnenbewegungen und der Geschichte des ländlichen Raumes zu festigen. Die Konferenz ist darum bemüht, das Themengebiet der „Arbeit auf dem Land“ aus zwei Blickwinkeln zu behandeln: erstens, landwirtschaftliche Arbeit als Koproduktion von Gesellschaft und Natur und, zweitens, ländliche Arbeitsverhältnisse als Bestandteile größerer politischer und wirtschaftlicher Systeme. Beiträge zu dieser Konferenz sollen aufzeigen, wie sich diese beiden Perspektiven gegenseitig ergänzen, Forschungsdesiderate und blinde Flecken in der jeweils anderen Perspektive ausfindig machen, Brücken bauen und zur theoretischen, methodologischen und empirischen Bereicherung der Geschichte landwirtschaftlicher Arbeit beitragen.

Der erste Blickwinkel akzentuiert die Aspekte, die landwirtschaftliche Arbeit – Acker- und Gartenbau, Viehzucht, Arbeit in der Wald- und Forstwirtschaft oder die Verarbeitung von auf dem Land produzierten Rohstoffen – von anderen Formen der Arbeit unterscheidet. Diese Perspektive lenkt die Aufmerksamkeit auf die aus ihrer natürlichen Einbettung resultierenden Unterschiede der Landwirtschaft im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen: die natürlichen Einschränkungen betreffend die Auswahl von Kulturpflanzen in bestimmten Regionen, die biologischen Wachstumsprozesse von Pflanzen und Tieren, die Saisonalität des Arbeitsprozesses, die Unbeständigkeiten des Wetters und die sich daraus ergebenden ertragsbezogenen Risiken und die Auswirkungen auf materielle und immaterielle kulturelle Phänomene (Siedlungsmuster, Haushaltszusammensetzung, Techniken und Technologien, Wahrnehmungen der Umwelt, Möglichkeiten zur Intensivierung des Produktionsprozesses, die Entscheidung über Vertragsformen, soziale Schichtung und Eigentumsrechte usw.). Eingehende Fallstudien mit regionalem oder lokalem Schwerpunkt würden sich eignen, um die Koproduktion von Gesellschaft und Natur zu fassen.

Der zweite Blickwinkel, von dem aus das Thema beleuchtet wird, betont die Vielfalt ländlicher Arbeitsverhältnisse und untersucht eher Gemeinsamkeiten mit anderen Arbeitsverhältnissen und, nicht zuletzt, das breite Spektrum an Verknüpfungen zwischen landwirtschaftlicher und nicht-landwirtschaftlicher Arbeit durch Individuen und Haushalte. Dies umfasst haushaltsbasierte Formen der Arbeitsorganisation, Gesindedienst, Lohnarbeit (dauerhaft, saisonal, migrierend), Zwangsarbeit (Sklaverei, Fronarbeit) sowie weitere Formen freier und unfreier Arbeit, aber auch landwirtschaftliche Aktivitäten von ländlichen HandwerkerInnen und IndustriearbeiterInnen, die geschlechts-, alters- und lebenslaufspezifische Arbeitsteilung und viele andere Themengebiete. Die Zusammenhänge dieser unterschiedlichen Arbeitsverhältnisse mit übergreifenden (sozio-)politischen und (sozio-)ökonomischen Phänomenen (wie z.B. Territorialstaaten und globale Kapitalismen seit dem 16. Jahrhundert) sind von besonderem Interesse. Der jeweilige Fokus liegt eher auf allgemeinen Aspekten, wie beispielsweise Klassen- und Machtverhältnissen, sozialen Bewegungen und der (Nicht-)Organisierung von LandarbeiterInnen, Mobilität und Migration, Güterketten, Governance-Strukturen, dem Zugang zu Eigentum an Grund und Boden und anderen zentralen Ressourcen und Marktentwicklungen als Erklärungen für die soziale Zusammensetzung ländlicher Gesellschaften. Diese Perspektive verlangt nach der Erweiterung der Forschungsperspektive auf unterschiedliche Ebenen, vom Lokalen zum Globalen.

Die Konferenz beabsichtigt Beiträge aus verschiedenen Disziplinen (Geschichte, Geographie, Soziologie, Wirtschaftswissenschaften, Anthropologie usw.) und unterschiedlichen zeitlichen und räumlichen Kontexten zusammenzuführen, die die Komplexität ländlicher Arbeitsverhältnisse und die Handlungsmacht ländlicher ArbeiterInnen aus den skizzierten Perspektiven behandeln. Das Interesse an lang- und kurzfristigen historischen Entwicklungen sollte einen gemeinsamen Ausgangspunkt für interdisziplinäre Debatten darstellen. Neben eingehenden Fallstudien sind Beiträge, die auf internationale Vergleiche und/oder transanationale Verbindungen fokussieren, besonders willkommen. Beiträge könnten den praktischen Handlungsspielraum ländlicher AkteurInnen im Spannungsfeld zwischen Anpassung und Widerstand beleuchten oder untersuchen, wie die Geschichte landwirtschaftlicher Arbeit in einem bestimmten Raum von den natürlichen Möglichkeiten und Einschränkungen, technologischen Entwicklungen und globalisierenden Marktkräften beeinflusst wurde. Dies sind lediglich zwei Beispiele, wie Beiträge zu dieser Konferenz durch einen Fokus auf die Untersuchung von Arbeit produktiv an die bestehenden Verbindungen zwischen der Geschichte des ländlichen Raumes und der Geschichte der Arbeit, der Arbeitenden und der ArbeiterInnenbewegungen anknüpfen bzw. diese Verbindungen erweitert können.

Veranstaltungsort:
AK-Bildungshaus Jägermayrhof, Römerstraße 98, 4020 Linz, Österreich

Linz ist eine Industriestadt ca. 180 km westlich von Wien und eines der historischen Zentren der österreichischen ArbeiterInnenbewegung. Der Österreichische Bürgerkrieg im Februar 1934 zwischen den austrofaschistischen Milizen (“Heimwehren”) und dem Bundesheer auf der einen und der paramilitärischen Organisation der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, dem Republikanischen Schutzbund, auf der anderen Seite begann in Linz. Die Umgebung des Jägermayrhofs war eines der Zentren der Kämpfe.

Kontakt:
Lukas Neissl
International Conference of Labour and Social History (ITH)
c/o Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
Altes Rathaus, Wipplinger Str. 6/Stg., A-1010 Wien, Österreich
e-Mail: ith[a]doew.at

Informationen zur Anreise

Eine Auswahl an Informationen, die für Ihre Anreise sowie Ihren Aufenhalt in Linz nützlich sein könnten:

Anreise:

Anreise nach Linz – Allgemeine Information

ÖBB – direkte Zugverbindungen von “Flughafen Wien” oder “Wien Hauptbahnhof” nach “Linz Hauptbahnhof”
Westbahn – direkte Zugverbindungen von “Wien Hauptbahnhof” oder “Wien Westbahnhof” nach “Linz Hauptbahnhof”

Blue Danube Airport Linz – Bus, Bahn oder Taxi in die Linzer Innenstadt

Sobald Sie in “Linz Hauptbahnhof” angekommen sind, können Sie entweder mit öffentlicen Verkehrsmitteln oder mit dem Taxi (ca. EUR 12-14) zum Konferenzort fahren.

Wenn Sie von “Linz Hauptbahnhof” mit öffentlichen Verkehrsmitteln weiterfahren, nehmen Sie die Straßenbahnlinien 1 oder 2 (Richtung “Universität”) oder die Straßenbahnlinien 3 oder 4 (Richtung “Landgutstraße”) und fahren 4 Stationen bis “Taubenmarkt”. Dort steigen Sie in die Buslinie 26 (Richtung “Stadion”) um, fahren 5 Stationen und steigen bei “Jägermayr” aus. Die Bushaltestelle liegt unmittelbar neben dem Konferenzort.

Die Straßenbahnlinien von “Linz Hauptbahnhof” verkehren regelmäßig. Die Buslinie 26 fährt die Station “Taubenmarkt” alle 30 Minuten an. Der letzte Bus fährt um 19:07. (Busfahrplan).

Tagungsort:

Jägermayrhof – Bildungshaus der Arbeiterkammer Oberösterreich

Mehr:

Stadt Linz – Informationen der Stadt Linz (auch für TouristInnen)
Wien-Tourismus – Informationen des Wiener Tourismusverbandes


Konferenzbericht html

Tagungsbericht der 55. ITH-Konferenz
Arbeit auf dem Land: AkteurInnen, Gesellschaften und Umwelten

Linz, 5.-7. September 2019

Charlotte Rönchen (Universität Wien)

Die diesjährige 55. ITH-Konferenz widmete sich dem Thema ‚Arbeit auf dem Land: AkteurInnen, Gesellschaften und Umwelten‘.

Im Fokus stand dabei zum einen die landwirtschaftliche Arbeit als Koproduktion von Gesellschaft und Natur, da diese natürliche Einbettung ein Spezifikum landwirtschaftlicher Produktion darstellt. Zum anderen gehörte zur Zielsetzung, ländliche Arbeitsverhältnisse in größere politische und wirtschaftliche Zusammenhänge einzubetten. Dabei galt es, Gemeinsamkeiten und Verknüpfungen mit anderen Arbeitsverhältnissen aufzudecken, wodurch spezifische AkteurInnengruppen, beispielsweise soziale Bewegungen, und weitere Aspekte wie Klassen-, Macht- und Besitzverhältnisse, Mobilität und Migration in den Blick kommen. Darüber hinaus gehörte es zum Anspruch der Tagung, sich historischen Entwicklungen einerseits interdisziplinär und andererseits global zu widmen, so dass sich die Beiträge über verschiedene Disziplinen und Untersuchungs(zeit)räume erstreckten.

Im Anschluss an die Begrüßung durch die ITH-Präsidentin Susan Zimmermann betonten Franz Molterer (Arbeiterkammer Oberösterreich) und Ernst Langthaler (Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Johannes Kepler Universität Linz, und Institut für Geschichte des ländlichen Raumes, St. Pölten) in ihren Eröffnungsworten, dass durch die globalen Veränderungen im Zeichen der Klimakrise ein neues Nachdenken über landwirtschaftliche Arbeit erforderlich werde, während Claudia Hahn (Stadt Linz) die Umformungen der Arbeitswelt durch die voranschreitende Digitalisierung herausstrich. Weiterhin stellte Ernst Langthaler verschiedene Ansätze der historischen Forschung zu Landarbeit vor. Zum Teil werde diese als Sonderfall von Arbeits- und ArbeiterInnengeschichte behandelt, indem sie die Besonderheit dieser Arbeit aufgrund ihrer Unterworfenheit unter bestimmte natürliche Verhältnisse betont wird. Andere ForscherInnen stellen die Eingebundenheit der Geschichte der Landarbeit in die Arbeits- und ArbeiterInnengeschichte in den Vordergrund, wobei sie ihren Fokus auf das Zusammenspiel von agrarischer und nicht-agrarischer Arbeit legen.

In seinem Eröffnungsvortrag beleuchtete Thijs Lambrecht (Universität Gent) die Regulierung ländlicher Arbeit insbesondere in Westeuropa im Zeitraum von 1250-1900. Nach einem historiographischen Überblick arbeitete er heraus, dass im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit Gesetze zur Regulierung der Landarbeit besonders von lokalen und regionalen Machteliten genutzt wurden und national auch nur erfolgreich gewesen seien, wenn sie diesen ausreichend Spielräume ließen. Weiterhin betonte er, dass im 19. Jahrhundert die Bedeutung gesetzlicher Maßnahmen zwar abgenommen habe, jedoch informelle Regulierungsformen zunahmen, so dass die weitverbreitete Vorstellung der freien westeuropäischen LandarbeiterInnen ‚historic fiction?‘ sei.

Das erste Panel am zweiten Konferenztag widmete sich dem Thema staatlich gelenkter Transformation von Arbeitsverhältnissen. Holger Czitrich-Stahl (Förderkreis Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Berlin) sprach in seinem Vortrag über Arbeitsverhältnisse, Agrarfrage und Organisationspolitik der preußischen Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung vor 1918. Er zeichnete die Entwicklung verschiedener ländlicher Arbeitsbeziehungen nach, die einerseits feudale Elemente wie das personale Dienstverhältnis tradiert, andererseits LandarbeiterInnen mit ‚freiem‘ und ‚halbfreiem‘ Status geschaffen habe. Der sozialdemokratischen Partei sei der Sprung auf das Land kaum gelungen, unter anderem, da sie es versäumt habe, ein eigenes Agrarprogramm zu entwickeln. Für den österreichischen Raum in der Zwischenkriegszeit beleuchtete Jessica Richter (Institut für Geschichte des ländlichen Raumes, St. Pölten) die staatlichen Bemühungen, den agrarischen Arbeitsmarkt zu organisieren. Diese seien als Maßnahmen gegen die Massenarbeitslosigkeit gedacht gewesen und sollten inländische Arbeitslose auf freie Stellen in der Landarbeit vermitteln, hätten jedoch nur sehr begrenzt Erfolg gehabt. Der dritte Vortrag  dieses  Panels  beschäftigte  sich  mit  der  venezolanischen  Reforma  Agraria  und  ihren Auswirkungen am Beispiel der Wayúu. Marin Schröder (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) stellte seine Arbeit vor und beschrieb, wie es zur Agrarreform von 1960 gekommen sei und wie diese versucht habe, auf die Herausforderungen zu reagieren, die der schnelle Aufbau der Erdölindustrie für die vormals zugleich stark konzentrierte und fragmentierte Landwirtschaft bedeutet habe. Schröder kam zu dem Schluss, dass der Staat traditionelle Systeme des Besitzes und der Regulation mit diesen Maßnahmen erfolgreich zurückgedrängt habe.

Das zweite Panel setzte sich mit Arbeitsmärkten auseinander. Als erstes zeichnete Peter Woodley (Australian National University, Canberra) die Veränderung der Arbeitsverhältnisse in der Landarbeit in seinem Untersuchungsgebiet im Südosten Australiens zwischen 1880 und 1930 nach. Er zeigte auf, dass Kleinbauern/Kleinbäuerinnen im Untersuchungszeitraum, vor die Wahl gestellt, sich mit reicheren Besitzenden oder LandarbeiterInnen zu solidarisieren, immer häufiger erstere wählten. Tina Bopp (Universität Basel) widmete sich in ihrem Vortrag der Kolonialität von Macht und Arbeit. Mithilfe dekolonialisierender Methodologie und der Lebensverlaufsperspektive beschrieb sie am Beispiel Moldawiens die Auswirkungen, die die massenhafte Rekrutierung von SaisonarbeiterInnen durch die westeuropäische Agrarwirtschaft auf die Herkunftsländer habe, und analysierte den Rassismus dieser Politik. Im dritten Vortrag dieses Panels setzte sich Janina Puder (Friedrich-Schiller-Universität Jena) mit den Folgen der staatlich forcierten Palmölproduktion in Malaysia für die migrantische ArbeiterInnenschaft auseinander. Diese bleibe ausgeschlossen von den Aussichten auf sozioökonomische Verbesserungen, die mit dem Ansatz der Bioökonomie in der Palmölproduktion einhergingen.

Die Vorträge des folgenden Panels standen unter dem Überbegriff der Güterketten. Rolf Bauer (Universität Wien) widmete sich der Schlafmohnproduktion in Nordindien, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreicht habe. Sie sei von den Kolonialbehörden und den lokalen Eliten massiv gefördert beziehungsweise erzwungen und arbeitsintensiv von Kleinbauern/Kleinbäuerinnen geleistet worden. Dieses höchst profitable Geschäft habe sich nur für die Eliten ausgezahlt. Elise van Nederveen Meerkerk (Universität Utrecht) beschäftigte sich mit den Auswirkungen der systematischen wirtschaftlichen Nutzung der Kolonie auf Frauen(arbeit) am Beispiel Javas zwischen 1830 und 1870. Um die Profitabilität der Kolonie zu erhöhen, habe der niederländischen Krone daran gelegen, die Produktion von Exportgütern (beispielsweise Kaffee und Zucker) zu erhöhen. Dies führte dazu, dass Frauen und Kinder vermehrt sowohl in der kolonialen Exportproduktion als auch in der Subsistenzwirtschaft zur Unterstützung der Männer einbezogen worden seien, und dass damit javanische Frauen auch erstmals in die Lohnarbeit eingetreten seien. Im letzten Vortrag dieses Panels untersuchte Ernst Langthaler (Johannes Kepler Universität Linz) den Sojaanbau in der Mandschurei zwischen 1900 und 1930, in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg und in Brasilien in der Gegenwart. Er zeigte den Wechsel von agrarökologischen und arbeitsintensiven kleinbäuerlichen Anbauformen hin zu agrarindustriellen und kapitalintensiven kapitalistischen Anbauformen auf, der die Entwicklungen in diesem Zeitraum kennzeichnete.

Um arbeitende Körper ging es in den Beiträgen des vierten Panels. Dabei rückte zunächst im Vortrag von Juri Auderset (Archiv für Agrargeschichte, Bern) die Verwissenschaftlichung der Landarbeit in Europa während der Zwischenkriegszeit in den Fokus. Zwar habe es schon vor dem Ersten Weltkrieg vereinzelt wissenschaftliche Beschäftigung mit Landarbeit gegeben, in der Zwischenkriegszeit habe sich daraus ein eigenes Forschungsfeld entwickelt. Die Forschung habe sich institutionalisiert und nach Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung gesucht, sei jedoch immer wieder an ihre Grenzen gestoßen, weil die Gebundenheit der landwirtschaftlichen Arbeit an die Natur die Angleichung an industrielle Arbeitsvorgänge verhinderte. Peter Moser (Archiv für Agrargeschichte, Bern) erkundete mit seinem Vortrag die Bedeutung landwirtschaftlicher Nutztiere im 19. und 20. Jahrhundert. Moser beschrieb die Versuche, Arbeitstiere durch den Einsatz von Maschinen zu ersetzen, und beschäftigte sich dabei exemplarisch mit der Arbeit von Konrad von Meyenburg. Doch seien Arbeitstiere sehr viel länger als antizipiert verwendet worden, weil das Verhältnis von LandarbeiterInnen und Tieren komplexer gewesen sei als zuvor in Modellen angenommen. Zudem stellte der Vortragende heraus, dass die Sozialwissenschaft sich sehr schwertue, Tiere als arbeitende AkteurInnen wahrzunehmen, weil es ihr aufgrund ihres traditionellen Blickes auf industrielle Realitäten an Begriffen und Konzepten dafür fehle. Majda Černic Istenič (Universität Ljubljana) ging in ihrer Präsentation der Frage nach, wie bäuerliche Familien mit den in der Landwirtschaft häufig vorkommenden Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen umgehen, die in der breiten Öffentlichkeit wenig Beachtung fänden. In einer in Slowenien durchgeführten Interviewstudie stellte die Vortagende fest, dass in diesen Familien im Falle eines Arbeitsausfalles oder anderer Hilfsbedürftigkeit die Bereitschaft, den öffentlichen landwirtschaftlichen Hilfsdienst anzunehmen, kaum gegeben sei. Vielmehr werde immer noch versucht, solche Probleme auf die traditionelle Weise durch Hilfe von Familienmitgliedern und NachbarInnen zu lösen.

Der zweite Konferenztag endete mit einer Podiumsdiskussion über ländliche Arbeitsverhältnisse in Österreich heute und die Rolle, die dabei migrantischen ErntehelferInnen zukommt. Susi Haslinger von der österreichischen Produktionsgewerkschaft, Lisa Bolyos von der Sezonieri-Kampagne und Karin Roller-Robbrecht von migrare – Zentrum für MigrantInnen Oberösterreich sprachen darüber, wie die Sezonieri-Kampagne versucht, diesen SaisonarbeiterInnen zu helfen, zu ihren gesetzlich festgeschriebenen Rechten zu kommen. Das durch viel Erfahrung in der politischen Aktion bereicherte Gespräch zeichnete sich durch profunde Sachkenntnis aus.

Der letzte Konferenztag begann mit einem Panel, das sich vorindustriellen ländlichen Räumen widmete. Erich Landsteiner (Universität Wien) fragte nach Arbeitsverhältnissen im österreichischen Weinbau im 14.-17. Jahrhundert. Er stellte seine Untersuchung der Verhältnisse in Krems und dem Wachautal vor, wo sich, anders als im Rest Österreichs, im Laufe der Zeit der Teilbau stark verbreitet habe, also ein Typus von Arbeitsbeziehungen, bei dem die Anbauenden am Ertrag beteiligt sind. Das erklärte Landsteiner damit, dass es in diesem Gebiet viele abwesende LandbesitzerInnen gegeben habe, die so die Kosten für die Kontrolle der ArbeiterInnen niedrig zu halten versuchten. Darüber hinaus gehörte dort ein Großteil des Landes kirchlichen Institutionen, die oft besonders langfristige Verträge über die Verpachtung des Landes abschlossen. Klemens Kaps (Johannes Kepler Universität Linz) beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der proto-industriellen Herstellung von Glas und Leinenstoffen im ländlichen Osten des Habsburgerreiches und ihren Verbindungen zu überregionalen Güterketten. Die Arbeitsverhältnisse hätten sich sehr vielfältig gestaltet und zwischen direktem und indirektem feudalem Zwang und Lohnarbeit variiert. Der dritte Vortrag dieses Panels, gehalten von Göran Rydén (Universität Uppsala), behandelte landwirtschaftliche Arbeit in der Eisenindustrie im Schweden des 18. Jahrhundert, veranschaulicht an einem Bruk, also einer Mischung aus einem industriellen und bäuerlichen Dorf. Anhand eines einzelnen Dorfbewohners beziehungsweise Kleinbauern beleuchtete Rydén die Komplexität der Arbeitsverhältnisse zwischen Subsistenzwirtschaft, dem Abarbeiten von Schulden und Miete und der eigentlichen Lohnarbeit. Christiane Cheneaux-Berthelot (Université Paris-Sorbonne/Paris IV) widmete sich den Arbeitsverhältnissen im agrarischen Teil des Departements Seine im 19. Jahrhundert. Dabei kam sie zum Schluss, dass sich der Anteil der besitzenden Kleinbauern/Kleinbäuerinnen im Verlaufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vergrößert habe. Diese bewirtschafteten jedoch zumindest zum Teil nicht nur ihr eigenes Land, sondern verrichteten auch Arbeit für andere Bauern/Bäuerinnen.

Das letzte Panel der Tagung bot drei Vorträge, die sich alle mit ländlicher Arbeit und Kämpfen um Macht beschäftigten. Lisa Markowitz (University of Louisville) führte aus, dass sich die Verhältnisse in der Produktion und Vermarktung von Alpakawolle im Süden Perus verändert hätten, seit in den 1830er Jahren erste industrielle Nachfrage aufgekommen sei. Zwar stärkte neue Infrastruktur die Anbindung an den Markt, jedoch sei die Alpakahaltung häufig in den Händen kleinbäuerlicher ViehzüchterInnen geblieben. Dies lasse sich unter anderem durch die räumliche Verortung der Produktionszonen und die Dynamiken der Alpakahaltung erklären. Die letzten beiden Vorträge verlegten den Untersuchungsraum nach Nordost-Indien. Pheiga Amanda G. (Tata Institute of Social Sciences, Mumbai) konzentrierte sich auf das Dorf Longmai. Unter anderem durch den Bau des Interstate Highways und dem damit verbundenen Verkauf von Land nehme einerseits die Landlosigkeit zu, andererseits sei eine gewisse Art der Klassenteilung und des Klassenbewusstseins, im Entstehen begriffen, die sich auf Besitz stütze. A. Lozaanba Khumbah (Jawaharlal Nehru University, Neu-Delhi) beschäftigte sich in seiner Präsentation mit Wanderfeldbau in Nordostindien. Er zeichnete nach, dass sich landwirtschaftliche Transformationen in einem breiteren Kontext abspielten und beispielsweise der Ausbau des Bildungssystems oder der Infrastruktur Faktoren darstellten, die die Entwicklung der örtlichen Sozialverhältnisse mit beeinflussten. Mit der größeren Nähe beziehungsweise Erreichbarkeit lokaler Märkte habe für sein Untersuchungsfeld eine Umstellung von einer Subsistenzproduktion hin zur Produktion für den Markt begonnen, die nicht nur Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse habe, indem sich Lohnarbeit verbreite, sondern auch in das sensible Ökosystem eingreife.

In der Abschlussdiskussion wurde das Verhältnis der ArbeiterInnengeschichte und der Geschichte der Arbeit zur Landarbeit und LandarbeiterInnen in den Fokus gerückt und so ein Bogen geschlossen, der alle Beiträge der Tagung umspannte. Die TeilnehmerInnen konstatierten sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zwischen agrarischer Arbeit und anderen Arbeitsfeldern wie der Industriearbeit, die klassischerweise im Zentrum der Aufmerksamkeit von HistorikerInnen der Arbeit stünden. So sei die immanente Naturbezogenheit und die damit einhergehende Unmöglichkeit der vollkommenen Unterwerfung des Arbeitsprozesses unter den Einsatz von Technik und Kontrolle durch den Menschen ein wichtiger Faktor der Unterscheidung. Es wurde auch mehrmals aufgeworfen, ob es überhaupt sinnvoll oder gar notwendig wäre, der Landarbeit in der ArbeiterInnengeschichte und der Geschichte der Arbeit einen Sonderstatus zuzuweisen. Es wurde auch dafür plädiert, ausgehend vom arbeitenden Menschen praxisorientiert die Verhältnisse, in denen dieser konkret lebt und arbeitet, zu untersuchen und dabei offen für die Besonderheiten der verschiedenen Sektoren und Verhältnisse zu sein. Die Frage nach dem Status von Landarbeit in der Geschichte der Arbeit solle von der historischen Forschung gestellt und untersucht, und nicht a priori beantwortet werden. Die Einbeziehung von Landarbeit in die Geschichte der Arbeit und die ArbeiterInnengeschichte sei bedeutsam auch dann, wenn es um die Verbindung mit der Umweltgeschichte gehe, und sie ermögliche einen erweiterten Blick auf Arbeitsverhältnisse und -geschichte. Der Anspruch der Tagung, Landarbeit im Rahmen der Geschichte der Arbeit und der ArbeiterInnengeschichte zu erforschen und zu diskutieren, war auf der Konferenz ständig präsent. Auch das Anliegen, interdisziplinär zu arbeiten und ins Gespräch zu kommen, wurde umgesetzt, wobei in der Schlussdiskussion angemerkt wurde, dass sich viele der Vorträge auf den europäischen Raum bezogen hätten, und der Wunsch geäußert wurde, das Forschungsfeld weiterhin räumlich zu erweitern.