54. ITH-Konferenz: Selbstorganisation und Demokratie am Arbeitsplatz: Partizipation, ArbeiterInnenkontrolle und Selbstverwaltung in globaler Perspektive

6 .-8. September 2018, Linz

Überblick

Veranstaltet von:
Internationale Tagung der HistorikerInnen der Arbeiter- und anderer sozialer Bewegungen (ITH) mit freundlicher Unterstützung der Kammer für Arbeiter und Angestellte Oberösterreich, der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Vorbereitungsgruppe:
Dario Azzellini (ILR School, Cornell University, Ithaca), Frank Georgi (Centre d’Histoire Sociale du XXème Siècle/Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne), Goran Music (Central European University, Budapest), Lukas Neissl (ITH, Wien), Brigitte Pellar (Wien), Anne Sudrow (Berlin)
in beratender Funktion: Marcel van der Linden (Internationales Institut für Sozialgeschichte, Amsterdam), Susan Zimmermann (ITH, Wien)

Zielsetzungen:
Seit der Entstehung der modernen Industrie und Landwirtschaft gab es immer wieder Versuche demokratische Errungenschaften aus der Sphäre der Politik – in welchen Formen und unter welchen Namen auch immer – in die Welt der Arbeit und der Wirtschaft zu übertragen (Selbstverwaltung in der Industrie, wie G.D.H. Cole im Jahr 1917 schrieb). Spätestens seit dem 19. Jahrhundert existieren Produzentenkooperativen als alternative Form der Unternehmensorganisation in kapitalistischen Ökonomien. Sehr unterschiedliche – sozialistische, anarchistische und christliche – Denkschulen, die den „Assoziationismus“ von Arbeitenden unterstützen, betrachten von Arbeitenden geführte Unternehmen als Grundlage für eine gerechtere Gesellschaft. Seit der Entstehung von Sowjets während der Russischen Revolutionen von 1905 und 1917, sowie infolge einer Reihe revolutionärer Bewegungen nach dem 1. Weltkrieg (Deutschland und Österreich 1918-19, Ungarn 1919, Italien 1920, etc.), betrachteten kommunistische RevolutionärInnen Arbeiterräte als eines der Fundamente postkapitalistischer politischer und gesellschaftlicher Strukturen. Nach den gescheiterten Versuchen revolutionärer Veränderung in Europa wurden in Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei Rechtsvorschriften verabschiedet, die – in verschiedenem Ausmaß – die Vertretung und Beteiligung von Arbeitenden auf Unternehmensebene ermöglichten.

Während des Kalten Krieges versuchten Länder wie Israel, Algerien, Peru und insbesondere Jugoslawien, durch die Einführung von Strukturen der Arbeiterselbstverwaltung die jeweilige Volkswirtschaft auf einen dritten Entwicklungsweg einzuschwören. Viele postkoloniale Projekte der Staatsbildung in Afrika und anderen Weltregionen verbanden das Konzept der Demokratie oder Selbstorganisation am Arbeitsplatz mit lokalen Traditionen der Gemeinschaftlichkeit. Vision und Praxis der Arbeiterselbstverwaltung dienten auch DissidentInnen in Osteuropa (Ungarn, Polen) als Inspiration, während eng damit verknüpfte Begriffe, wie autogestion und operaismo, in Südeuropa zu Leitmotiven der Vision eines demokratischeren Sozialismus der Bewegungen von 1968 wurden. Viele Wohlfahrtsstaatsmodelle in europäischen Ländern, die dem politischen „Westen“ zugeordnet werden, entwickelten zum Teil weitreichende Rechtsgrundlagen für die Beteiligung von Arbeitenden, die oft auf den Konzepten der unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg verabschiedeten Gesetzesreformen beruhten.

In den 1980er-Jahren mutierte das Ideal der Befreiung durch Selbstverwaltung in den hochentwickelten kapitalistischen Gesellschaften und Betrieben weltweit im Rahmen neoliberaler Politik oftmals zu Strategien des Managements von Arbeitsprozessen. Während viele AktivistInnen im (staats-)sozialistischen Osteuropa auf Arbeiterselbstverwaltung als Strategie wirtschaftlicher Demokratisierung von unten setzten, wurden Konzepte von Autonomie am Arbeitsplatz auch von den marktorientierten Reformern in den kommunistischen Parteien dazu verwendet, verbriefte Rechte von Arbeitenden zu beschneiden. In den 1990er-Jahren, als Konzepte zur Beteiligung von Arbeitenden an der wirtschaftlichen Entscheidungsfindung weltweit an Aktualität verloren, kam es in Argentinien und anderen lateinamerikanischen Ländern zu einer Welle von Betriebsbesetzungen und damit verbundenen sozialen Bewegungen. Dies löste in Lateinamerika und darüber hinaus neues Interesse und neue Debatten über Perspektiven der Demokratie und Selbstorganisation am Arbeitsplatz im 21. Jahrhundert aus.

Wie dieser kurze Abriss zeigt, wurden historisch, im Kontext unterschiedlicher Arbeitsregime und Formen politischer Herrschaft in verschiedenen Weltregionen, sehr unterschiedliche gesellschaftliche Akteure zu Trägern von Initiativen zur Demokratisierung von Arbeitsbeziehungen. Es verwundert deshalb nicht, dass eine umfangreiche Forschungsliteratur zu diesen Phänomenen entstanden ist. Allerdings weisen viele dieser Untersuchungen zur Selbstorganisation von Arbeitenden am Arbeitsplatz einen geographisch engen Horizont auf und beschäftigen sich in unzureichender Weise mit der sozioökonomischen Komplexität von Demokratie und Selbstorganisation am Arbeitsplatz. Erstens wird das Thema traditionell von linksorientierten SozialwissenschafterInnen und heterodoxen ÖkonomInnen behandelt, die auf die politische Organisierung der Arbeiterklasse bzw. die Wirtschaftsleistung der Unternehmen fokussieren und Fragen der Arbeitsbeziehungen sowie der inneren Funktionsweise der Demokratie am Arbeitsplatz auszublenden. Zweitens bildet häufig der Nationalstaat den Rahmen der Untersuchung und die größte Beachtung finden jene berühmten historischen Projekte, die das Ziel der Emanzipation der Arbeitenden für sich in Anspruch nahmen. Versuche von Überblicksdarstellungen zur Geschichte der Beteiligung von Arbeitenden und der Praktiken von Kontrolle und Selbstverwaltung in verschiedenen Ländern, haben sich in der Regel bislang in der Sammlung von Fallbeispielen in nur eingeschränkt vergleichender Perspektive erschöpft, und wechselseitige Einflüsse, transnationalen Austausch und transnationale Transfers ausgeklammert.

Um zur Schließung dieser Forschungslücken beizutragen, verfolgt die ITH-Konferenz 2018 die folgenden beiden strategischen Ziele:

1.) Klärung und Kategorisierung der oft synonym oder überlappend verwendeten Begriffe und Konzeptionen von Selbstverwaltung, ArbeiterInnenkontrolle, Beteiligung, Mitbestimmung und autogestion (in ver-schiedenen Sprachen); dies soll durch die Nachzeichnung der Entwicklungslinien dieser Konzepte und Praxen in globaler Perspektive und ihre Kontextualisierung in Hinblick auf spezifische Schauplätze, kulturelle Zusammenhänge und historische Konjunkturen geschehen.

2.) Die Beleuchtung von Demokratie und Selbstorganisation am Arbeitsplatz jenseits der politischen Geschichte von Arbeiterbewegungen oder der Unternehmensgeschichte, die sich mit alternativen Managementmodellen beschäftigt – also die Untersuchung der tatsächlichen Praktiken der Beteiligung und Entscheidungsfindung und Arbeitsbedingungen von Arbeitenden anhand spezifischer Beispiele.

Veranstaltungsort:
AK-Bildungshaus Jägermayrhof, Römerstraße 98, 4020 Linz, Österreich

Linz ist eine Industriestadt ca. 180 km westlich von Wien und eines der historischen Zentren der österreichischen ArbeiterInnenbewegung. Der Österreichische Bürgerkrieg im Februar 1934 zwischen den austrofaschistischen Milizen (“Heimwehren”) und dem Bundesheer auf der einen und der paramilitärischen Organisation der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, dem Republikanischen Schutzbund, auf der anderen Seite begann in Linz. Die Umgebung des Jägermayrhofs war eines der Zentren der Kämpfe.

Kontakt:
Lukas Neissl
International Conference of Labour and Social History (ITH)
c/o Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
Altes Rathaus, Wipplinger Str. 6-8/Stg. 3, A-1010 Wien, Österreich
e-Mail: ith[a]doew.at


Tagungsbericht der 54. ITH-Konferenz
Selbstorganisation und Demokratie am Arbeitsplatz: Partizipation, ArbeiterInnenkontrolle und Selbstverwaltung in globaler Perspektive“

Linz, 6.-8. September 2018

von Dietmar Lange (Freie Universität Berlin)

Auch dieses Jahr gaben zwei Jahrestage das Thema für die alljährliche Konferenz der ITH vor, dem traditionsreichen Forum für HistorikerInnen, die sich mit der Geschichte von Arbeit und ArbeiterInnenbewegungen beschäftigen. War es letztes Jahr das hundertjährige Jubiläum der Russischen Revolution, so sind es dieses Jahr die Jubiläen der Revolutionen in Mitteleuropa 1918 und der 68er-Bewegung, die die OrganisatorInnen dazu veranlassten, die verschiedenen Formen demokratischer Beteiligung und Selbstverwaltung am Arbeitsplatz zur übergreifenden Fragestellung zu erheben. Damit knüpfen sie an die Konferenz vom letzten Jahr zu „Revolution und Arbeitsbeziehungen“ an, waren es doch oft revolutionäre Umbrüche, die mit einer Demokratisierung am Arbeitsplatz einhergingen. Nicht zuletzt waren es die Revolutionen um 1918, die zu entsprechenden arbeitsrechtlichen Neuregelungen führten, während die Bewegungen um 1968 in vielen Ländern auch Auswirkungen auf die industriellen Beziehungen hatten, was heute freilich selbst unter HistorikerInnen wenig bekannt ist. Vor allem aber gingen solche historischen Bewegungen mit einer Vielzahl an Versuchen konkreter ArbeiterInnenselbstverwaltung im Betrieb einher, sei es, indem bereits existierende kapitalistische Betriebe von ArbeiterInnen übernommen wurden oder indem diese neue Unternehmen gründeten.

Die Bandbreite der Forschung zu diesem Thema ist sehr groß, allerdings, so beklagen die OrganisatorInnen in ihrem Konferenzaufruf, würden in den zumeist an einer politischen Geschichte der ArbeiterInnenbewegung oder einer alternativen Unternehmensgeschichte orientierten Studien Fragen bezüglich der Arbeitsbeziehungen und der inneren Funktionsweise der Demokratie am Arbeitsplatz ausgeblendet. Zu den Zielen der Konferenz wurden daher sowohl eine Klärung und Kategorisierung der Begriffe und Konzeptionen, als auch eine Untersuchung tatsächlicher Praktiken der Beteiligung und der Entscheidungsfindung erklärt.

Den Eröffnungsvortrag hielt Dario Azzellini (ILR School, Cornell University, Ithaca), der insbesondere durch eine Reihe von Untersuchungen und Publikationen zur Geschichte von ArbeiterInnenkontrolle und ArbeiterInnenselbstverwaltung bekannt geworden ist. In seinem historischen Überblick erklärte er Kooperation zu einer anthropologischen Konstante und Grundlage von Gesellschaft an sich. Dementsprechend fänden sich frühe Formen von Produktions- und Konsumentenvereinigungen bereits in der Antike und im Mittelalter. Dazu zählte er auch Formen gegenseitiger Hilfe (Mutualismus), wie sie etwa in den Zünften anzutreffen waren und wie sie bis in die frühe ArbeiterInnenbewegung hineinreichten und schließlich die Grundlage für den modernen Sozialstaat in einigen Industriestaaten bildeten. Sein Vortrag konzentrierte sich aber vor allem auf das 20. Jahrhundert, in dem er mehrere Wellen der Entstehung von selbstverwalteten Betrieben und der Demokratisierung am Arbeitsplatz ausmachte. Dazu zählte er sowohl die Revolutionen nach dem Ersten Weltkrieg, als auch die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als in vielen Ländern ArbeiterInnen Betriebe übernahmen und die Produktion in Eigenregie wieder aufnahmen. Auch die nationalen Befreiungsbewegungen in Afrika und Asien waren ein fruchtbarer Boden für entsprechende Bestrebungen und Versuche, sowie der Sturz einer Reihe von Diktaturen in den 1970er-Jahren in Südeuropa und Lateinamerika. Eine neue Welle von Betriebsübernahmen durch ArbeiterInnen ist seit Beginn des 21. Jahrhunderts zu beobachten, die nun aber im Unterschied zu früheren Zeiten nicht aus der Stärke einer offensiven Bewegung heraus erfolgt, sondern in einer Krisensituation, in Zeiten, in denen die Arbeiterbewegung sozial und politisch fragmentiert und geschwächt ist. Angefangen mit Argentinien 2001 übernehmen ArbeiterInnen bis heute an vielen krisengeschüttelten Orten stillgelegte Betriebe, um ihre Arbeitsplätze zu erhalten. Der Erfolg hängt dabei nicht selten davon ab, ob sie Teil einer breiteren sozialen Bewegung und einer solidarischen Community sind, oder ob sie sich isoliert in einer ihnen feindlich gesinnten Umgebung wiederfinden.

Auf den folgenden sechs Panels wurden im Verlauf der Konferenz diese historischen und thematischen Linien in 20 Beiträgen vertieft. Allerdings war die Zusammensetzung der Panels teilweise etwas verwirrend, da nicht immer ein chronologisches, geographisches oder thematisches Kriterium ersichtlich war. Daher werden im Folgenden einige ausgewählte Beiträge entlang der diskutierten Begrifflichkeiten und Konzeptionen dargestellt und damit an die Zielsetzung der Konferenz angeknüpft, anstatt der Reihenfolge der Panels zu folgen.

Unter ArbeiterInnenkontrolle wurde zunächst vor allem die Kontrolle von Arbeitenden über den Arbeitsprozess und die Arbeitsbedingungen, teilweise auch die Anstellung und die Zuteilung von Arbeit diskutiert, die sich bereits in der frühen ArbeiterInnenbewegung findet und hier auch an ältere Traditionen der Handwerkerzünfte anknüpft. András Toth (Institut für Politikwissenschaft, Ungarische Akademie der Wissenschaften, Budapest) und Eszter Bartha (Eötvos-Loránd-Universität, Budapest) legten etwa dar, wie die ersten Gewerkschaften in Budapest ihre Kontrolle über den lokalen Arbeitsmarkt für Facharbeiter zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausübten. Dabei boykottierten sie nicht nur einzelne Unternehmen, die versuchten sich dieser zu entziehen, sondern auch Arbeiter, die in boykottierten Betrieben anheuerten und auf eine schwarze Liste bei der Arbeitsvermittlung gesetzt wurden. Leider gingen die beiden ReferentInnen nicht mehr auf die Rolle der Gewerkschaften während der Ungarischen Räterepublik ein. Dabei spielte ArbeiterInnenkontrolle in den Revolutionen am Ende des Ersten Weltkriegs eine zentrale Rolle. Zunächst als Kontrolle über die Betriebsleitungen durch Arbeiterräte verstanden, entwickelte sich daraus vielerorts das Bestreben nach Übernahme der Betriebe durch dieselben. Wie Ralf Hoffrogge (Institut für soziale Bewegungen, Ruhr-Universität Bochum) ausführte, wurden in Deutschland dabei auch umfassende Modelle für eine Räteverwaltung der gesamten Gesellschaft entworfen. Auch während der Revolution 1979 im Iran traten ähnliche Bewegungen am Arbeitsplatz auf, wie dies Peyman Jafari (Universität von Amsterdam / Internationales Institut für Sozialgeschichte, Amsterdam) am Beispiel der iranischen Ölindustrie darlegte. ArbeiterInnenkontrolle war aber auch ein Konzept gewerkschaftlicher Interessenvertretung in weiterhin kapitalistisch geführten Betrieben, das etwa gegen solche der Mitbestimmung abgegrenzt wurde. Das Ziel bestand dabei in einer Kontrolle über den Produktionsprozess ausgerichtet an den Bedürfnissen der Arbeitenden, unabhängig von betriebswirtschaftlichen Erwägungen (Dietmar Lange, Freie Universität Berlin, über ArbeiterInnenkontrolle bei FIAT Mirafiori und Stan de Spiegelaere, Europäisches Gewerkschaftsinstitut/Brüssel, über die Mitbestimmung in den Strategiediskussionen der belgischen Gewerkschaften).

Mitbestimmung wiederum wurde als eine Form der Partizipation diskutiert. Entsprechende rechtliche Regelungen kamen vor allem während der Revolutionen 1918/19 zum Durchbruch, wie dies die Beiträge von Holger Czitrich-Stahl (Förderkreis Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Berlin) zur Entstehung des deutschen Arbeitsrechts und von Brigitte Pellar (Wien) für Österreich zeigten. Interessant wäre ein Vergleich zwischen den leider auf verschiedenen Panels präsentierten Beispielen gewesen, gingen doch die rechtlichen Regelungen in Österreich weiter als in Deutschland. Auch die Arbeiterkammern sind eine Form der Institutionalisierung der Rätebewegung, die in Deutschland zwar ein Pendant in der Weimarer Verfassung findet, das aber nicht mehr umgesetzt wurde. Beide machten jedoch noch einmal eindringlich darauf aufmerksam, das entsprechende rechtliche Institutionalisierungen umkämpft bleiben würden und jederzeit wieder in Frage gestellt werden könnten, wie dies auch die jüngsten Vorstöße der neuen schwarz-blauen Regierung in Wien zeigen. Was die konkrete Praxis der Partizipation angeht, hob Sara Lafuente Hernández (Europäisches Gewerkschaftsinstitut, Brüssel) bei der Präsentation ihrer Untersuchung über die Mitbestimmung in   europäischen   Unternehmen   hervor, dass die beteiligten GewerkschafterInnen die Bedeutung derselben weniger in der Beteiligung an den Entscheidungsprozessen im Aufsichtsrat sahen, wo die GewerkschaftsvertreterInnen stets in der Minderheit sind, sondern in informellen Gesprächen am Rande und dem Zugang zu Informationen. In welcher Perspektive dies geschehe, ob etwa strategisch für die Interessenvertretung der Beschäftigten im Betrieb oder im Sinne einer sozialpartnerschaftlichen Standortpolitik, die vor allem die Vermittlung mit lokalen Interessen anstrebt, hänge hingegen entscheidend von den entsprechenden Gewerkschaftskulturen und der Ausbildung der GewerkschaftsvertreterInnen ab. Es wurden auch Formen der Partizipation diskutiert, die keine Zugeständnisse und Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung  waren,  sondern  von  den  Unternehmen  als  alternative  Methoden  der Personalführung eingeführt wurden. Dabei wurde den Arbeitenden zumeist eine größere Autonomie bei der Ausführung der Arbeiten und der Einteilung der Arbeitszeit zugestanden, ohne jedoch über Ziele und Zweck der Arbeit bestimmen zu können. Ein Beispiel präsentierte Nikolas Lelle (Humboldt- Universität zu Berlin) mit Klöckner-Humboldt-Deutz in Köln in den 1930er-Jahren, welches auch Eingang in den nationalsozialistischen Diskurs der „Betriebsgemeinschaft“ fand. Benjamin Ferschli (Johannes Kepler Universität Linz / Wirtschaftsuniversität Wien) wiederum untersuchte zeitgenössische Beispiele in der IT-Industrie und kam zu dem Schluss, dass hier mehr Autonomie keineswegs zu mehr Kontrolle führe, sondern eher dazu, dass sich die Beschäftigten gegenseitig unter Druck setzen würden und sich der Stress bei der Arbeit erhöhe, während die zu erfüllenden Produktionskennziffern weiterhin vom Management festgelegt würden.

Unter dem Begriff der Selbstverwaltung wurden verschiedene Beispiele diskutiert, in denen die Arbeitenden teilweise oder ganz die Leitung von Betrieben ausübten. Dazu gehörten sowohl Betriebe, die von den Arbeitenden in konfliktträchtigen Prozessen übernommen wurden, als auch solche, die von den Beschäftigten selbst gegründet wurden oder wo bestehende Institutionen ihnen die Leitung von Betrieben übertrugen. Der Begriff der Selbstverwaltung ist sicherlich der jüngste, der auf der Tagung diskutierten und wurde insbesondere im Zuge der 68er-Bewegung populär. Er wurde vor allem von der Neuen Linken und der katholischen ArbeiterInnenbewegung aufgenommen, um damit die Vision eines demokratischen Sozialismus als Alternative zu den Diktaturen in Osteuropa und dem sozialdemokratischen Reformismus zu entwerfen, wie dies Ettore Bucci (Scuola Normale Superiore, Pisa) in seinem Vortrag über autogestion in den Diskussionen in Frankreich und Italien ausführte. Der Begriff selbst geht auf das Modell des Selbstverwaltungssozialismus in Jugoslawien zurück, das in den 1950er-Jahren von einem relativ kleinen Zirkel in der Kommunistischen Partei zur Abgrenzung von der stalinistischen Sowjetunion entworfen worden ist. Die Erfahrungen in Jugoslawien können sicherlich als eines der am längsten andauernden und flächenmäßig größten Experimente von ArbeiterInnenselbstverwaltung bezeichnet werden und waren entsprechend in mehreren Beiträgen über verschiedene Panels verteilt auf der Konferenz präsent. Trotz vielfacher Kritik an der beschränkten konkreten Reichweite der Selbstverwaltung, die vor allem an der Macht der Kommunistischen Partei ihre Grenze fand, wurden auch positive Aspekte genannt. So hob Jasmin Ramović (Universität Manchester) hervor, dass die Selbstverwaltung trotz aller Probleme nicht nur einen gewissen Einfluss der Arbeitenden auf die Betriebsleitung sicherte, sondern auch den inter- ethnischen Zusammenhalt förderte, da sie verschiedene Möglichkeiten des Zusammenkommens in den Versammlungen und den Freizeitangeboten im Umfeld der Betriebe schuf. Dies spiegelt sich auch heute in der Erinnerung vieler ehemaliger ArbeiterInnen wieder und ist nicht zuletzt eine Basis für die weitverbreitete „Jugonostalgia“ in den Nachfolgestaaten. Weitere Untersuchungen zu selbstverwalteten Betrieben und Kooperativen in Mittel- und Westeuropa zeigten, dass ein hoher Grad an Demokratisierung bei der Entscheidungsfindung auch mit einem erhöhten Grad an bürgerschaftlichem Engagement der Beschäftigten, etwa bei sozialen und Umweltbelangen, einhergeht (so Wolfgang G. Weber und Christine Unterrainer, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, für Österreich, Süddeutschland und Südtirol und Cian McMahon, National University of Ireland Galway, für Irland).

Abgeschlossen wurde die Konferenz von einem Runden Tisch, an dem die Diskutanten feststellten, dass die verwendeten Begriffe nicht immer klar zu unterscheiden wären und oft synonym oder überlappend gebraucht würden. Es komme daher darauf an, zu prüfen, wie und in welchem Kontext sie verwendet würden. Zudem wurde in eine passive Beteiligung der Beschäftigten unterschieden, wie sie etwa auch in autoritären Systemen wie dem Faschismus oder neuen Managementmethoden anzutreffen sei, in denen die Beschäftigten zwar größere Autonomie bei der Ausübung von Tätigkeiten besitzen würden, aber weiterhin lediglich ausführende Funktionen hätten, und tatsächlicher Demokratie am Arbeitsplatz, die auch eine Demokratisierung der Entscheidungsprozesse mit einschließen müsse. Weniger zentral wurde hingegen die Eigentumsfrage angesehen, da auch Betriebe im Eigentum der Beschäftigten ähnliche Strukturen wie kapitalistische Unternehmen aufweisen könnten und lediglich die shareholder unterschiedlich sind. Außerdem wurde klargestellt, dass selbstverwaltete Betriebe keineswegs einem „ehernen Gesetz“ der Degeneration und Anpassung an die kapitalistische Umwelt folgen oder untergehen. Bis heute gibt es viele selbstverwaltete Betriebe, die sich auch in zentralen Branchen der Rohstoffgewinnung und industriellen Produktion erfolgreich behaupten. Zugleich wurde festgehalten, dass mehr Demokratie am Arbeitsplatz auch nicht zu einem Effizienzverlust führe, selbst nicht in kapitalistischen Unternehmen. Dies würde jedoch mit einem Machtverlust des mittleren Managements einhergehen, weshalb diese bis heute nur in Ausnahmefällen praktiziert würde. Festzuhalten bleibt daher, dass die Konferenz nicht nur zur Klärung über die Verwendung von Begrifflichkeiten und Kategorien beitrug, sondern auch einige wichtige Thesen und weit verbreitete Vorstellungen über Demokratie am Arbeitsplatz und ArbeiterInnenselbstverwaltung überprüft und zum Teil widerlegt wurden. Ein Mangel bleibt die Abwesenheit von Beispielen aus Lateinamerika, Asien und Afrika und von solchen aus der Landwirtschaft. Vielleicht gibt es im September 2019 die Möglichkeit diese Lücke zu füllen, wenn „Arbeit auf dem Land“ das Thema der ITH-Konferenz sein wird.