52. ITH-Konferenz: Güterketten und Arbeitsverhältnisse

15.-17. September 2016, Steyr

Überblick

Veranstaltet von:
International Conference of Labour and Social History (ITH) mit freundlicher Unterstützung des Museum Arbeitswelt Steyr, der Kammer für Arbeiter und Angestellte Oberösterreich und der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Institut für Gewerkschafts- und AK-Geschichte der Kammer für Arbeiter und Angestellte Wien

Preparatory Group:
Ulbe Bosma (International Institute of Social History, Amsterdam), Karin Fischer (Johannes Kepler Universität Linz), Erich Landsteiner (Universität Wien), Jürgen Kocka, (Wissenschaftszentrum Berlin), Andrea Komlosy (Universität Wien), Lukas Neissl (ITH), Susan Zimmermann (ITH)

Hintergrund:
Seit der zunehmenden Vernetzung und hierarchischen Verbindung weltweiter Produktionsstandorte ist das Konzept globaler Güterketten aus der Erforschung der Produktion im Weltmaßstab nicht mehr wegzudenken. Es beruht auf der Beobachtung, dass die Güterproduktion oft – und verstärkt seit den 1970er Jahren – den Rahmen der Produktionsstätten in einem Land sprengt und einzelne Produktionsvorgänge an Tochterunternehmen oder Zulieferfirmen in anderen Ländern ausgelagert und somit auf mehrere Standorte mit unterschiedlichen Rechts-, Lohn-, Sozial- und Steuersystemen aufgeteilt werden. Durch ihre Kombination können Kosten eingespart werden. Über die Rohstoffgewinnung und Nahrungsmittelproduktion waren und sind auch die Primärproduktion und ihre ArbeiterInnen in die grenzüberschreitenden Güterketten einbezogen.

Die Zugänge in der historischen und gegenwartsbezogenen Güterketten-Forschung unterscheiden sich, je nachdem ob die ungleiche internationale Arbeitsteilung im Weltsystem, die Organisation unternehmerischer Netzwerke oder die Möglichkeit des Upgrading von Unternehmen, Regionen und Staaten im Vordergrund steht. Die globalhistorische Perspektive zeigt, dass transnationale Bezugsketten, die Auslagerung und das Aufsplitten von Produktionsprozessen auf mehrere Standorte, keineswegs neuartige Phänomene sind: Exportproduktion ist insbesondere im Textil- und im Metallsektor spätestens seit dem „langen 16. Jahrhundert“ durch grenzüberschreitende Güterketten gekennzeichnet. Auch davor gab es interregionalen Handel, der mitunter die Form von Güterketten annahm. Langfristig betrachtet scheinen einander Phasen lokaler Zentriertheit und überregionaler Standortkombination abgelöst zu haben.

Von Bedeutung für die Analyse der Machtverhältnisse innerhalb der Güterketten, nicht zuletzt auch aus historischer Perspektive, ist die idealtypische Unterscheidung von „producer-driven“ und „buyer-driven commodity chains“. Während im ersteren Fall große, vertikal integrierte und multinationale Industriebetriebe den in der Regel kapital- und technologieintensiven Produktionsprozess kontrollieren (z. B. in der Automobilindustrie), sind es im zweiteren Handelsfirmen und Markeninhaber, die dezentralisierte Produktionsnetzwerke zwischen Regionen und über nationale Grenzen hinweg organisieren (Nahrungsmittel- und Konsumgüterproduktion). Die Kontrolle und die Steuerung (Governance) dieser Arrangements sind zu einem bedeutenden Forschungsfeld geworden.

Den spezifischen Produktionsverhältnissen, der Organisation des Arbeitsprozesses innerhalb der einzelnen Glieder einer Kette und den Austauschverhältnissen zwischen ihnen, hat die Forschung bislang wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Nicht selten endet die Güterkettenforschung darum in einer Art „Warenfetischismus“. Arbeit, obwohl Grundlage der Produktion an jedem beteiligten Standort, wird als Untersuchungsgegenstand vernachlässigt oder lediglich als Kostenfaktor thematisiert, nicht aber aus Interesse an den Arbeitern und Arbeiterinnen, den Arbeitsprozessen und Arbeitsbedingungen.

Die Tagung stellt sich zur Aufgabe, Arbeitsverhältnisse in Güterketten in ihrer Vielfalt und Kombination empirisch zu durchleuchten und so auch zur konzeptionellen Debatte über Arbeit, Wert, die Funktionsweise von Kapitalismus sowie die Handlungsmacht und -ohnmacht der direkt und mittelbar einbezogenen ProduzentInnen beizutragen. Zentral ist einerseits die Frage, wie sehr und wie die Arbeitsbedingungen, Arbeitsverhältnisse und Arbeitserfahrungen in einzelnen Standorten auf die Herausbildung der Warenketten eingewirkt haben. Zentral ist andererseits die Frage, welche Auswirkung die Einbeziehung in solche Warenketten auf die Arbeitsverhältnisse und die ArbeiterInnen in einzelnen Standorten hatten.

Zielsetzungen:
Der Fokus der Tagung liegt auf der Stellung der Arbeitskräfte in der Güterkette:

Es geht um die Frage der Mobilisierung von Arbeitskräften für die Arbeit in Güterketten und um ihre Eingliederung in und Beteiligung an Güterketten, sowie um das (individuelle und organisierte) Handeln der ArbeiterInnen und die Frage, wie sich Integrationsbereitschaft, Verweigerung und soziale Kämpfe auf die konkrete Gestaltung und Entwicklung einzelner Güterketten auswirken.

Besonderes Augenmerk gilt der Kombination unterschiedlicher Arbeitsverhältnisse und den Auswirkungen solcher Kombinationen für beteiligte Unternehmen und Arbeitskräfte an unterschiedlichen Positionen der Fertigungskette, einschließlich der Verbindung der in den Güterketten tätigen Arbeitskräfte mit den in ihren Haushalten unbezahlt tätigen Familienmitgliedern. Dies erfordert einen weiten Arbeitsbegriff, der regulierte und informelle, bezahlte und unbezahlte, freie und unfreie Arbeit einschließt.

Veranstaltungsort:
Museum Arbeitswelt Steyr, Wehrgrabengasse 7, 4400 Steyr, Österreich

Steyr bietet sich als historisch zentrale Drehscheibe einer Güterkette im Metallsektor als exemplarischer Veranstaltungsort an. Diese Kette erstreckte sich seit der frühen Neuzeit vom steirischen Erzberg über die Verarbeitungsregionen der Eisenwurzen – die aus dem Alpenvorland mit Nahrungsmitteln versorgt wurden – bis hin zu den Stätten der hochspezialisierten gewerblichen Weiterverarbeitung zu Waffen und Werkzeug in der damaligen Weltwirtschaft. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde diese Güterkette durch zentralisierte Metallfabriken in Steyr abgelöst, die sämtliche Verarbeitungsschritte in ihren Werkshallen zusammenführten. Während die alten Fabriken im Wehrgraben musealisiert wurden, beherbergt die Stadt nach wie vor hochrangige Unternehmen der Metall-, Fahrzeug- und Waffenindustrie, die heute jedoch in globale Güterketten eingebunden sind.

Kontakt:
Lukas Neissl
International Conference of Labour and Social History (ITH)
c/o Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
Altes Rathaus, Wipplinger Str. 6-8/Stg. 3, A-1010 Wien, Österreich
e-Mail: ith[a]doew.at