40. Linzer Konferenz: “Gnade oder Recht” – Entwicklung der sozialen Sicherungssysteme

16.-19. September 2004, Linz

Konferenzbericht

Bericht über die 40. Linzer Konferenz

Die historische Dimension eines aktuellen Themas – ITH erörterte Entwicklung der sozialen Sicherungssysteme

“Gnade oder Recht” lautete der Titel der 40. Linzer Konferenz der ITH (16. – 19. September 2004). Achtzig KonferenzteilnehmerInnen diskutierten 17 Referate aus 11 Ländern (Albanien, Argentinien, China, Deutschland, Finnland, Indien, Kanada, Österreich, Schweden, Südafrika, sowie eine in Ungarn für die ILO tätige US-amerikanische Wissenschaftlerin). 38 BewerberInnen aus 19 Ländern hatten auf den Call for Papers mit Themenvorschlägen von fast durchwegs hoher Qualität geantwortet. Die Vorbereitungsgruppe (die sich aus deutschen, finnischen und österreichischen WissenschaftlerInnen sowie Vertretern der beiden Veranstalter ITH und Arbeiterkammer zusammensetzte) legte schließlich ein Programm vor, das
• zunächst das Tagungsthema an Hand des österreichischen Beispiels des schrittweisen Übergangs vom gnadenhalber gewährten Almosen zur rechtlichen Absicherung sozialer Standards darlegte,
• einen Vergleich der “Wege zur Moderne” in Südafrika, Indien und China zog,
• einen Vergleich anstellte zwischen ein Vergleich dem hauptsächlich von den Gewerkschaften verwalteten “skandinavischen Modell” und steuerfinanzierten Systemen, sei es das (vom so genannten Beveridge-Bericht ausgehenden) anglo-amerikanische Modell oder das argentinische (“peronistische”) Modell der sozialen Absicherung.

Es folgten komparative Referate
• zum sozialrechtlichen Umbau der ehemals kommunistisch regierten Staaten Südosteuropas sowie
• zum Wettstreit zwischen dem west- und ostdeutschen Sozialstaat und dessen Nachwirkungen.

In einer öffentlichen Podiumsdiskussion zur Zukunft des Sozialstaats (“Rückkehr ins 19. Jahrhundert?”) wurden auch Alternativmodelle wie ein “bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürger” vorgestellt.

Das österreichische Beispiel veranschaulichte die Zwiespältigkeit der staatlichen Sozialpolitik, die zwar einerseits die finanzielle Basis absicherte, andererseits die Autonomie der Unterstützungskassen einengte. Der Vergleich zwischen Indien und China machte klar, in welchem Ausmaß – trotz einer unterschiedlichen Entwicklung in den industriellen Zentren – für die überwältigende Mehrheit der (noch immer ländlichen) Bevölkerung soziale Sicherheit von der Unterstützung der Kinder für ihre Eltern abhängt, wobei diese Bürde de facto fast ausschließlich von den Frauen getragen wird.
Von besondere Interesse – angesichts der in Europa weitverbreiteten Ansicht, für das amerikanische Sozialversicherungssystem sei der Verzicht auf staatliche Eingriffe typisch – war der Vergleich zwischen den Methoden der sozialen Absicherung in Großbritannien, Kanada und den USA, deren Systeme in hohem Maße durch den Bericht von William Beveridge über die Sozialversicherung aus dem Jahre 1942 beeinflusst wurden, dessen Hauptanliegen die Durchsetzung des Gleichheitsgrundsatzes sowohl bei Löhnen/Gehältern als auch bei Altersrenten war. In der Praxis bedeutete dies eine einheitliche staatliche Grundrente nach dem Ende der Erwerbstätigkeit. In den ehemals kommunistisch regierten Ländern Europas wurden seit den neunziger Jahren zwei widerstreitende Systeme installiert – beim einen handelt es sich um staatliche oder zumindest öffentlich finanzierte Sozialversicherungseinrichtungen, beim anderen um einen Übergang zu ausschließlich privaten Versicherungsgesellschaften mit teilweise unsicherer finanzieller Ausstattung. Letztere werden vom Internationalen Währungsfonds befürwortet.  Die Konferenz wurde mit einer Diskussion über Ähnlichkeiten und Unterschiede sozialdemokratischer und kommunistischer Sozialversicherungskonzepte und ihrer Realisierung in West- und Ostdeutschland in den fünfziger und sechziger Jahren sowie über das Phänomen der “Ostalgie ” unter der ehemaligen DDR-Bevölkerung und ihrer Ursachen abgeschlossen. Die Beiträge werden, wie bisher, bis zur nächsten Konferenz in Form eines Sammelbandes veröffentlicht.

Call for Papers und andere Texte zur Konferenzvorbereitung

Vorbereitende Text

CALL FOR PAPERS / Aufgabe und inhaltliche Ausrichtung der Konferenz

Die 40. Linzer Konferenz der Internationalen Tagung der HistorikerInnen der Arbeiter- und anderer sozialer Bewegungen (ITH) findet von 16. bis 19. September 2004 in Linz an der Donau (Oberösterreich) statt.
Die jährliche „Linzer Konferenz“ wird seit 1965 von der ITH – seit 2001 gemeinsam mit der AK-OÖ (Kammer für Arbeiter und Angestellte Oberösterreichs) – veranstaltet. Sie ist
> sowohl eine Versammlung von VertreterInnen der Mitgliedsinstitute der ITH, einer weltweiten Dachorganisation von Einrichtungen zur Geschichtsschreibung der Arbeiter- und anderer sozialer Bewegungen, um neue Forschungsergebnisse der Institute auszutauschen und Projekte anzubahnen,
> als auch eine Fachtagung mit eingeladenen Referaten zu einem spezifischen Thema.

Die Linzer Konferenz 2004 behandelt „Entwicklung und Zukunft der sozialen Sicherungssysteme“. Wir laden ForscherInnen ein, Vorschläge für Referate zum Tagungsthema im Rahmen der unten aufgelisteten Diskussionspunkte (1-2 Seiten Abstract, Lebenslauf einschließlich einer eventuellen institutionellen Anbindung, Publikationsliste) einzureichen.

Ein internationales Vorbereitungskomitee evaluiert die eingelangten Vorschläge für Beiträge zur jeweiligen Konferenz von innerhalb und außerhalb der Organisation. Eingeladene ReferentInnen sind vom Tagungsbeitrag (der von den übrigen TeilnehmerInnen für Unterbringung, Mahlzeiten, Tagungsmaterialien und Simultanübersetzung eingehoben wird) befreit und erhalten eine Reisekostenunterstützung, deren Art und Höhe vor der Konferenz mit dem ITH-Sekretariat zu vereinbaren ist. Die ReferentInnen werden außerdem eingeladen, eine redigierte Fassung ihres Beitrags in dem – jeweils 1 Jahr danach, zur nächstfolgenden Konferenz, erscheinenden – Tagungsband zum Konferenzthema zu publizieren.

Allgemeine inhaltliche Ausrichtung und zu behandelnde Einzelthemen

Die Finanzierbarkeit der von den Arbeiterbewegungen erkämpften sozialen Sicherungssysteme wird weltweit in Frage gestellt, der Wohlfahrtsstaat als Nachteil im internationalen Wettbewerb denunziert. Unter Hinweis auf die demografische Entwicklung („Überalterung“ der modernen Industriegesellschaften) wird der Rückbau der Sozialsysteme, die man sich nur in Zeiten der Hochkonjunktur leisten habe können, als unabdingbar hingestellt. Der gegenwärtige politische und mediale Diskurs ignoriert, dass die sozialen Sicherungssysteme in den so genannten Wohlfahrtsstaaten kein Ausdruck einer günstigen Alterspyramide oder hoher Wirtschaftszuwächse sind. Zwar sind sie in Zeiten ökonomischen Wachstums ausgebaut worden, ihre Einführung jedoch war kein Ausdruck ökonomischer Prosperität, sondern gesellschaftlichen Krisenmanagements reformorientierter Teile der staatlichen Verwaltung und des Bürgertums sowie der reformistischen Mehrheit der Arbeiterbewegungen. Zweck der Konferenz ist es, die historische Komponente in die aktuelle Debatte einzubringen und die unterschiedlichen Herangehensweisen von Gewerkschaften und anderen in der Tradition der Arbeiterbewegung stehenden Organisationen und Parteien miteinander zu vergleichen.

Die Sozialpolitik der Arbeiterbewegungen ist seit mehr als einem Jahrhundert gekennzeichnet durch eine Kombination von Einrichtungen wechselseitiger Solidarität – wie sie in den frühen Zunft- und Knappschaftskassen entstanden und im selbstverwalteten Sozialversicherungsbereich weiter entwickelt wurde – und der (Forderung nach oder Fähigkeit zur) Nutzung der staatlichen Regulierungsinstrumente zur Umverteilung der Kosten für Gesundheitswesen, Altersvorsorge und der Fürsorge für Bedürftige. Dadurch trat die Arbeiterbewegung in Konkurrenz mit religiösen Vereinigungen und privaten Stiftungen, die allerdings auch weiterhin eine bedeutende Rolle in jenen Teilen der lohnabhängigen Bevölkerung spielen, die keinen Versicherungsschutz genießen – in den meisten so genannten Entwicklungs- und Schwellenländern ist das die Mehrheit der Bevölkerung. In vielen Ländern werden Privatversicherungen zu einer Alternative zum unzureichenden öffentlichen Gesundheitswesen und zu dem in wachsendem Ausmaß in Frage gestellten Umlagesystem (Sozialversicherungsbeiträge/Pensionen) der Altersvorsorge. Sowohl staatlich gelenkte Sozialsysteme als auch private Krankheits- und Altersvorsorge begründen Ansprüche auf Leistungen, während soziale Wohlfahrt auf der Basis von Wohltätigkeitseinrichtungen – sogar wenn Beiträge hierfür allgemein verbindlich und, wie die Almosenabgabe Zakat in einigen islamischen Ländern, durch staatliche Organe verteilt werden – von der Spendenfreudigkeit der GeberInnen abhängen und „Wohlverhalten“ (sowie, selbstredend, Bedürftigkeit) der EmpfängerInnen voraussetzen.

Auf der Konferenz sollen folgende politischen und geographischen Bereiche abgedeckt werden:

Die Herausbildung der „klassischen” Wohlfahrtsstaaten in Skandinavien und Zentraleuropa und ihr historischer Kontext, einschließlich der (aber nicht beschränkt auf die) Politik regierender sozialdemokratischer Parteien.
Die Politik von Arbeiterorganisationen in Ländern ohne staatliche Sicherungssysteme.
Die Sozialpolitik kommunistischer Regierungen und die Rolle von gewerkschaftlichen Zusammenschlüssen in diesen Ländern; der Umbau der sozialen Sicherungssysteme in ehemals kommunistisch regierten Ländern und die (reale sowie propagandistische) Rolle des wohlfahrtsstaatlichen Modells in diesem Prozess.
(Die Analyse der sozialdemokratischen bzw. kommunistischen Politik sollte auch das Selbstbild dieser Bewegungen als sozialpolitische Avantgarde umfassen.)

Referate und vorbereiteten Diskussionsbeiträge sollen vor allem folgende vier Schwerpunktthemen behandeln:

a) Unfall- und Krankenversicherung, Vorsorge für den Fall der Arbeitsunfähigkeit: Arbeitsschutz, Invaliditätsrenten.
b) Altersvorsorge: Entwicklung des Umlagesystems und alternativer Systeme; die Haltung der Arbeiterbewegungen zu Ansparmodellen.
c) Geburt und Kindheit: Die Rolle von Geburtenkontrolle, Mutterschutz, Kindergeld sowie der Organisation und Finanzierung der Kinderbetreuung in der Sozialpolitik der Arbeiterbewegungen.
d) Arbeitslosigkeit: Kündigungsschutz, Versicherungsschutz im Falle des Verlusts des Arbeitsplatzes und längerdauernder Arbeitslosigkeit; Haltung der Gewerkschaften zu alternativen Sicherungsmodellen (z.B. „Grundeinkommen“).

Beachten Sie bitte, dass die Tagung in erster Linie dazu beitragen soll, historische Erfahrungen in die Diskussion um die Weiterentwicklung der sozialen Sicherungssysteme einzubringen. Vorschläge, die ausschließlich Fragen der aktuellen Politik zum Gegenstand haben, können nur für das Begleitprogramm zur Veranstaltung (z.B. öffentliche Podiumsdiskussion) berücksichtigt werden.

Terminkalender

Letzter Termin für die Einsendung von Vorschlägen (Abstracts): 31. Dezember 2003.
Festlegung des Konferenzprogramms durch die Vorbereitungsgruppe: bis 31. Jänner 2004.
Termin für die Übersendung der Referate an das ITH Sekretariat: 15. August 2004.

Kontakt

W. R. Garscha
Christine Schindler
ITH, Wipplinger Str. 8, A-1010 Wien
christine.schindler[a]doew.at
Fax. +43 1 534 36 99 90 319

 

Auf den Call for Papers reagierten 38 SozialwissenschaftlerInnen aus 16 Ländern mit Vorschlägen für Referate auf der Linzer Konferenz. Am 28. Februar 2004 berieten im Adolf-Czettel-Bildungszentrum der Arbeiterkammer Wien Mitglieder der Vorbereitungsgruppe (Winfried R. GARSCHA, ITH; Marjaliisa HENTILÄ, Työväen Arkisto / Finnisches Arbeiterarchiv, Helsinki; Jürgen HOFMANN, Berlin; Sabine LICHTENBERGER und Brigitte PELLAR, Arbeiterkammer Wien; Alexander PRENNINGER, Salzburg; Christine SCHINDLER, ITH) intensiv die eingelangten Vorschläge. Aus organisatorischen und konzeptionellen Gründen (ausreichend Zeit für Diskussion auf der Konferenz, inhaltliche Strukturierung) mussten auch einige ausgezeichnete Vorschläge abgewiesen werden.

 

Thesen zur Konferenzvorbereitung

1. Die sozialen Sicherungssysteme in den so genannten Wohlfahrtsstaaten sind in Zeiten ökonomischen Wachstums ausgebaut worden. Ihre Einführung war aber nicht Ausdruck ökonomischer Prosperität, sondern gesellschaftlichen Krisenmanagements reformorientierter Teile der staatlichen Verwaltung und des Bürgertums sowie der reformistischen Mehrheit der Arbeiterbewegung.

2. Im Mittelpunkt der gegenwärtigen Auseinandersetzungen über die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme (insbesondere der Krankheits- und Altersvorsorge, aber auch der verschiedenen Formen der Unterstützung im Falle der Arbeitslosigkeit, des Mutterschaftsschutzes und der Kinderbetreuung) steht ihre „Unfinanzierbarbeit“ angesichts der Veränderungen in der ökonomischen und demographischen Struktur. Unter „Reform“ wird daher seit geraumer Zeit vielfach eine Rückführung der wohlfahrtsstaatlichen Leistungen von rechtlich abgesicherten Ansprüchen auf soziale Fürsorge für Bedürftige verstanden. Parallel dazu entwickelt sich auch in solchen Sozialsystemen, die bisher nach dem Solidarprinzip auf staatlicher Basis oder auf der Basis des wechselseitigen Versicherungsschutzes organisiert waren, ein rasch wachsender, oft staatlich geförderter Markt für kommerzielle Anbieter für die private Krankheitsvorsorge und Ansparmodelle für die Altersvorsorge.

3. Die seit den 1990er Jahren geführte gesellschaftliche Auseinandersetzung um diese Fragen hat auch innerhalb der Arbeiterparteien und Gewerkschaften Konflikte provoziert. Gleichzeitig werden von außerhalb der traditionellen Arbeiterbewegung stehenden Gruppen alternative Sicherungsmodelle (z.B. „Grundeinkommen“) in die Diskussion eingebracht.

Zweck der Konferenz ist es, die historische Komponente in diese Debatte einzubringen und die unterschiedlichen Antworten von Gewerkschaften und anderen in der Tradition der Arbeiterbewegung stehenden Organisationen und Parteien zu vergleichen. Im Mittelpunkt der Debatte sollten die klassischen Wohlfahrtsstaaten stehen. Der Call for Papers (Referate oder Diskussionsbeiträge) soll jedoch auch Beiträge zur Politik von Arbeiterorganisationen in Ländern ohne staatliche Sicherungssysteme, zum Umbau der sozialen Sicherungssysteme in ehemals kommunistisch regierten Ländern, zur Sozialpolitik kommunistischer Regierungen und zur Rolle von gewerkschaftlichen Zusammenschlüssen in diesen Ländern betreffen. Die Analyse der sozialdemokratischen bzw. kommunistischen Politik sollte auch das Selbstbild dieser Bewegungen als sozialpolitische Avantgarde umfassen. Fragen der aktuellen Politik, einschließlich interner Spannungen in regierenden sozialdemokratischen Parteien, können zwar im Begleitprogramm zur Veranstaltung (öffentliche Podiumsdiskussion?) zur Sprache kommen, die Tagung selbst sollte aber in erster Linie dazu beitragen, historische Erfahrungen in die Diskussion um die Weiterentwicklung der sozialen Sicherungssysteme einzubringen.

Die Mitgliedsinstitute der ITH werden gebeten, Vorschläge für eine personelle Verbreiterung der internationalen Vorbereitungsgruppe zu unterbreiten. Deadline für Vorschläge zur Strukturierung der Konferenz ist der 31. August 2003.
Die Festlegung der Konferenzstruktur durch die internationale Vorbereitungsgruppe erfolgt im September 2003 am Rande der 39. Linzer Konferenz. Auf dieser Basis wird ein Call for Papers (Deadline: 30. November 2003) formuliert werden. Die Festlegung des Konferenzprogramms soll bis spätestens 31. Jänner 2004 erfolgen.

W. R. Garscha, Leiter der internationalen Vorbereitungsgruppe
winfried.garscha[a]doew.at

 

Erste Überlegungen (Januar 2003)

Die Finanzierbarkeit der von den Arbeiterbewegungen erkämpften sozialen Sicherungssysteme wird weltweit in Frage gestellt, der Wohlfahrtsstaat als Nachteil im internationalen Wettbewerb denunziert. Zweck der Konferenz ist es, die historische Komponente in diese Debatte einzubringen und die unterschiedlichen Antworten von Gewerkschaften und anderen in der Tradition der Arbeiterbewegung stehenden Organisationen und Parteien zu vergleichen.

Thematische Schwerpunkte könnten Krankheits- und Altersvorsorge, Mutterschaftsschutz und Kinderbetreuung sein.

Durch Referate oder Diskussionsbeiträge abgedeckt werden sollten die Politik von Arbeiterorganisationen in Ländern ohne staatliche Sicherungssysteme, der Umbau der sozialen Sicherungssysteme in ehemals kommunistisch regierten Ländern, die Sozialpolitik kommunistischer Regierungen und die Rolle von gewerkschaftlichen Zusammenschlüssen in diesen Ländern sowie die klassischen Wohlfahrtsstaaten und die aktuelle Politik regierender sozialdemokratischer Parteien. Die Analyse der sozialdemokratischen bzw. kommunistischen Politik sollte auch das Selbstbild dieser Bewegungen als sozialpolitische Avantgarde umfassen.

W. R. Garscha
winfried.garscha[a]doew.at

Programm

Veranstaltet von der ITH und der AK-OÖ (Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich)

 

PROGRAMM

Donnerstag, 16. 9. 2004

9.00 bis 22.00 Uhr:
Anmeldung der TeilnehmerInnen im Bildungshaus Jägermayrhof der AK-OÖ, Römerstr. 98a, A-4020 Linz

14.00 bis 15.30 Uhr:
Sitzung des Vorstandes und Internationalen Beirats

15.30 bis 15.45: Pause

15.45 bis 18.30 Uhr:
Generalversammlung der Mitgliedsinstitute der ITH
Entscheidung über die Zukunft der ITH
(Simultanübersetzung Deutsch/Englisch/Französisch)

19.00 Uhr:
Eröffnung der Konferenz
Es sprechen: Univ.-Prof. Dr. Gabriella Hauch (Präsidentin der ITH), Gemeinderat Mag. Christian Forsterleitner (Stadt Linz), Landesrat Dr. Josef Ackerl (Land Oberösterreich), Univ.-Prof. Dr. Rudolf Ardelt (Rektor der Johannes-Kepler-Universität Linz), und Erwin Kaiser (AK-OÖ/Jägermayrhof).
Zum René-Kuczynski-Preis
Verleihung des Herbert-Steiner-Preises
Empfang des Bürgermeisters der Stadt Linz, Dr. Franz Dobusch, im Jägermayrhof.

Referate und Sessionen

Freitag, 17. 9. 2004

ab 9.00 Uhr:
Begrüßung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch Ing. Reinhold Entholzer (Vizepräsident der AK-OÖ) und Univ.-Prof. Dr. Gabriella Hauch (Präsidentin der ITH).

Von der Gnade zum Recht
Vorsitz: Brigitte Pellar

Brigitte Pellar (Wien): Einleitung
Alexander Prenninger (Salzburg): Probleme der sozialen Krankenversicherung in der “take-off”-Periode am Beispiel Salzburg (1888-1919)
Sabine Veits-Falk (Salzburg): Staatliche Armenfürsorge in Österreich im 19. Jahrhundert (mit einem Vergleich des Fürsorgewesens in Mittel-, West- und Nordeuropa)
Robert Grandl (Wien): Die Geschichte der Sozialversicherungsselbstverwaltung in Österreich. Von den Anfängen bis 1918

Empfang des Landeshauptmannes von Oberösterreich, Dr. Josef Pühringer, im Jugendgästehaus der Stadt Linz

ab 14.00 Uhr:

Wege in die Moderne
Vorsitz: Alexander Prenninger

Wessel Visser (Stellenbosch): Getting Reconstruction and Development Programme (RDP) into Gear. The ANC Governements Dilemmato Provide a System of Social Security for the “New” South Africa
Rajagopal Dhar Chakraborty (Calcutta): Population Ageing and Old Age Security in China and India
Zhang Minjie (Hangzhou): From Family Security and Unity Security to Social Security. An outline on China’s Social Security System since 1950
Wang Xueyu (Shandong): China’s Minimal Living Security System

20 Uhr: Öffentliche Podiumsdiskussion im Festsaal der AK-OÖ, Linz, Volksgartenstr. 40
»Zukunft des Sozialstaats – Rückkehr ins 19. Jahrhundert?«
Ein Dialog zu den Themen »Standortsicherung« durch Sozialabbau? – »Bedingungsloses Grundeinkommen für alle BürgerInnen« statt Vollbeschäftigung? – Finanzierungsmodelle im europäischen Vergleich

Auf dem Podium: Josef Wöss (Österreichischer Gewerkschaftsbund), Sascha Liebermann (Univ. Dortmund) und Harald Steindl (Wirtschaftskammer Österreich). Brigitte Pellar (Wien) berichtet über die Ergebnisse der Diskussionen auf der Tagung im Jägermyrhof.
Moderation: Peter Huemer (Journalist und Historiker)
• Josef Wöss ist Referent für Sozialpolitik in der Wiener Arbeiterkammer und Autor von »Abfertigung neu« und »Sozialstaaten im Vergleich«
• Harald Steindl ist Referent in der Abteilung für Rechtspolitik der Wirtschaftskammer Österreich, gerichtlich beeideter Sachverständiger für betriebliche Altersversorgung und Lektor am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien
• Sascha Liebermann ist wissenschaftlicher Assistent an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Dortmund und Autor von »Die Krise der Arbeitsgesellschaft«
• Brigitte Pellar leitet das Institut für Gewerkschafts- und AK-Geschichte der Wiener Arbeiterkammer und des Österreichischen Gewerkschaftsbunds und hat die 40. Linzer Konferenz mit vorbereitet

Hinweis:
Die Podiumsdiskussion findet in deutscher Sprache ohne Simultandolmetsch statt. Bustransfer: 19.30 Uhr ab Jägermayrhof, 22.15 ab dem Gebäude der Arbeiterkammer Oberösterreich in der Volksgartenstraße.

Samstag, 18. September 2004

ab 9.00 Uhr:

Modelle sozialer Sicherung – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Vorsitz: Marjaliisa Hentilä

Nils Edling (Stockholm): Universalism for the working class: Northern European unemployment
insurance in the 20th century
Tapio Bergholm (Helsinki): Child Benefit System as Solution and a Problem of Finnish Industrial Relations – Employers, Trade Unions and State constructing the Finnish Welfare State (1947-48)
Seppo Hentilä (Helsinki): Why the Scandinavian Social Security Systems became a Model (commentary)
Seth Wigderson (Augusta/Maine, Winnipeg/Manitoba): The Beveridge Report, Old Age Security, Equality and Workers Power in Britain, Canada and the United States
Patricia Flier (La Plata): La sécurité sociale en Argentine. De la généralisation du système au commencement de la grande crise. 1943-1976

ab 14.00 Uhr:

Tradition und Transformation
Vorsitz: Jürgen Hofmann

Merita Vaso Xhumari (Tirana): A comparative analysis on old-age pension schemes in Albania,
Kosovo, and Macedonia.
Elaine Fultz (Regionalbüro Budapest der Internationalen Arbeitsorganisation ILO): Kommentar
Martina Rupp (Marburg): Altersvorsorge in der BRD und DDR in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts
Stefan Bollinger (Berlin): Sozialstaat DDR: Nur Erinnerung – oder Herausforderung?

Sonntag, 19. September 2003

Abreise der TeilnehmerInnen nach dem Frühstück

Simultanübersetzung: Deutsch – Englisch – Französisch

Die Vorsitzenden jeder Session vereinbaren mit den ReferentInnen die jeweilige Redezeit und legen die Pausen fest. Eine Mindestzeit von 60 Minuten pro Session ist für Anfragen an die ReferentInnen und die freie Diskussion vorgesehen.

Abstracts

Alexander Prenninger, Ludwig Boltzmann-Institut für Historische Sozialwissenschaft, Wien – Salzburg
Kassendefizite, Verpolitisierung und Schmutzkonkurrenz. Probleme der sozialen Krankenversicherung in der Take-off-Periode (1888-1919) – am Beispiel Salzburg

Durch das Krankenversicherungsgesetz von 1888 wurde zu den bestehenden, sehr unterschiedlichen Typen von Organisationen, die sich mit Krankenversicherung beschäftigten (u. a. liberale Vorsorgekassen, Arbeitervereinskassen), ein neuer Typus geschaffen, der sich im Verlauf der Entwicklung des Sozialversicherungsstaates zur dominanten Institution der Krankenversicherung entwickelte.
Das Krankenversicherungsgesetz von 1888 definierte erstmals “Gebietskrankenkassen”, d. h. Krankenkassen, deren Wirkungsbereich sich nicht mehr auf einzelne Berufsgruppen bezog, sondern auf ein bestimmtes Territorium – die Gerichtsbezirke. Der hier vorgeschlagene Beitrag fokussiert den Blick auf jene Institutionen, die als “Vorläufer” der Gebietskrankenkasse angesehen werden können – die Bezirkskrankenkassen. Der Beitrag konzentriert sich dabei aber auf die Phase der Einrichtung und Etablierung der Bezirkskrankenkassen bis zum Beginn der Ersten Republik und soll vor allem Problemfelder dieser Sozialversicherungsanstalten behandeln.
Die halbstaatlichen Bezirkskrankenkassen standen von Beginn an unter starkem Konkurrenzdruck, vor allem seitens der – hauptsächlich, aber nicht nur sozialdemokratischen – Arbeiterkrankenkassen, und hatten mit zahlreichen organisatorischen und finanziellen Problemen zu kämpfen. Letzten Endes war die neue Institution jedoch erfolgreicher als alle anderen Kassentypen. Die Daten zu Versicherten und Gebarung zeigen, dass es den Bezirkskrankenkassen innerhalb von etwa 25 Jahren gelang, eine dominierende Stellung unter den verschiedenen Kassenarten einzunehmen. Eine organisatorische Reform ab 1919, die die “Kassenkonzentration” zum Ziel hatte, wandelte die kleinräumigen Bezirkskrankenkassen in regionale Landes- und Gebietskrankenkassen. Die Frage, warum und mit welchen Mitteln sich dieses neue Organisationsmodell bis zum Ende der Monarchie gegen Konkurrenzmodelle behaupten konnte, soll im Zentrum dieses Beitrag stehen und am regionalen Beispiel Salzburg untersucht werden.
Als wesentliche Problemzonen und Konfliktfelder können festgehalten werden:
Das Zwangssystem der sozialen Krankenversicherung beinhaltete sowohl Formen der Pflichtversicherung als auch der Versicherungspflicht. Die Wahlmöglichkeit der Versicherungspflichtigen zwischen verschiedenen Kassen führte zu (zum Teil ruinösen) Konkurrenzkämpfen zwischen Bezirkskrankenkassen und Vereinskrankenkassen, aber auch zwischen verschiedenen Vereinskrankenkassen.
Die Einbeziehung bereits bestehender (privater) Institutionen wie der Arbeitervereinskassen in das System der Arbeiterkrankenversicherung führte zu einer teilweisen “Verstaatlichung” dieser Organisationen, indem ihnen gesetzlich festgelegte Aufgaben zugewiesen wurden. Damit verbunden war aber auch eine verstärkte Kontrolle und Einflussnahme staatlicher Behörden auf diese Institutionen.
Die neu geschaffene Institution Bezirkskrankenkasse basierte auch auf neuen Organisationsstrukturen. Als Auffangbecken für jene Arbeiter, die bei keiner anderen Betriebs-, Genossenschafts- oder Vereinskrankenkasse versichert waren, wurde die ständische Ausrichtung des Versichertenkreises auf die Großgruppe Arbeiter ausgeweitet. Im Vordergrund stand die territoriale Abgrenzung auf die Gerichtsbezirke als Sprengel, womit die Bezirkskrankenkassen als die ersten “Gebietskrankenkassen” bezeichnet werden können.
Die Selbstverwaltung der Krankenkassen durch Arbeitnehmer und –geber bildete lange vor Einführung des allgemeinen Wahlrechts eine Möglichkeit demokratischer Mitbestimmung für die Arbeiterschaft. Damit verbunden war aber auch eine Politisierung der Kassengremien. Die politischen Parteien, voran die Sozialdemokraten, nützen das Verwaltungssystem der Kassen und die Möglichkeit der Mobilisierung der Versicherten.
Die vor allem bei den Bezirkskrankenkassen großen finanziellen Probleme (v.a. im Bereich der Spitalskosten) führten zu teilweise heftiger Kritik an der “Kassenzersplitterung” und zur Forderung nach “Kassenkonzentration” zur “Einheitskasse”.

Sabine Veits-Falk, Archiv der Stadt Salzburg
Staatliche Armenfürsorge in Österreich im 19. Jahrhundert (mit einem Vergleich des Fürsorgewesens in Mittel-, West- und Nordeuropa)

Im frühen 19. Jahrhundert war die “staatliche” Armenfürsorge in Österreich großteils über die in den 1780er Jahren unter Kaiser Joseph II. eingeführten Pfarrarmeninstitute geregelt. Diese “Institute” waren eine Organisation zur gezielten Sammlung und Verteilung von Almosen und sollten die planlose, punktuelle Hilfe der barocken Wohlfahrtspflege unterbinden. Dabei wurde der Kirche die ihr traditionell zugedachte Rolle der tätigen Nächstenliebe übertragen und sie zugleich auch in personeller Hinsicht (Pfarrer oder Vikare leiteten die Pfarrarmeninstitute) und zur Mittelaufbringung organisatorisch und religiös-emotional herangezogen. Den sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts abzeichnenden sozio-ökonomischen Veränderungen trug die österreichische Armengesetzgebung vorerst keinerlei Rechnung.  Das provisorische Gemeindegesetz von 1849, die Reichsgemeindeordnung von 1862 und das Heimatgesetz von 1863 übertrugen die Armenpflege in den Kompetenzbereich der Gemeinden. Die nähere inhaltliche Ausführung blieb der Landesgesetzgebung vorbehalten. Ab der Jahrhundertmitte wurden die Pfarrarmeninstitute in einzelnen Ländern der Habsburgermonarchie aufgehoben und neue Landes-Armengesetze erlassen (z. B. Böhmen 1868, Oberösterreich 1869, Kärnten 1870, Steiermark 1873, Salzburg 1874, Niederösterreich 1882 usw.). Für die praktische Durchführungen der öffentlichen Armenfürsorge waren nach den legistischen Vorgaben der Länder die Gemeinden zuständig, die somit auch die finanzielle Hauptlast zu tragen hatten. Neben einer – bis heute – fehlenden einheitlichen gesamtstaatlichen Gesetzgebung, erwies sich die Beschränkung auf Gemeindeangehörige unter Ausschluss der Nichtzuständigen als der größte Mangel des österreichischen Armenwesens der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ein wachsender Personenkreis konnte an seinem Aufenthaltsort keine Unterstützung beziehen – private und kirchliche Armenfürsorge boten für die Betroffenen zum Teil Abhilfe. Das Vereinsgesetz von 1867 bildete dabei eine wesentliche gesetzliche Voraussetzung für die Möglichkeit zur Selbsthilfe. Eine Verbesserung bedeutete die erst 1896 erfolgte Novellierung des Heimatgesetzes mit dem darin verankerten Recht auf Aufnahme in den Heimatverband nach zehnjährigem ununterbrochenen Aufenthalt in einer Gemeinde. Durch die in den 1880er Jahren einsetzende Sozialversicherungsgesetzgebung begann der Staat durch die Einbeziehung bestimmter Berufsgruppen sowie die allmähliche Abdeckung bestimmter Risiken die öffentliche Armenfürsorge langsam zu entlasten – jedoch blieb aufgrund deren beschränkter Leistungen die Fürsorgetätigkeit von Gemeinden und Ländern die Grundlage der Armenfürsorge. Bemerkenswerterweise zählt Österreich mit Deutschland zu den Pionierstaaten der staatlich geregelten Sozialversicherung in Europa. Diese etablierte sich nicht zuerst in fortgeschrittenen demokratischen Staaten, “sondern in politisch relativ rückständigen politischen Regimen mit ausgeprägter obrigkeitstaatlicher Tradition, mit einer starken staatlichen Bürokratie und wenig entwickelten demokratischen Strukturen” (Emmerich Tálos). So wurde beispielsweise auch in den meisten Staaten Deutschlands zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Grundsatz durchgeführt, dass ein “Anspruch” auf Unterstützung von der Verleihung des Einwohner- bzw. Heimatrechts durch die Gemeinden abhing. Das “preußische Modell”, das den Anspruch vom tatsächlichen, eine bestimmte Frist dauernden Aufenthalt abhängig machte, wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von sämtlichen Staaten des Deutschen Reiches übernommen. Nach einer Darstellung der Entwicklung des österreichischen Armenfürsorgewesens im 19. Jahrhundert wird im Vortrag ein Vergleich mit der Armengesetzgebung anderer Länder Mittel- West- und Nordeuropas gezogen.

Robert Grandl, Wien
Die Geschichte der Sozialversicherungsselbstverwaltung in Österreich. Von den Anfängen bis 1918

Die Geschichte der Arbeitnehmermitbestimmung in der Sozialversicherung ist ein Thema, das man zweifellos als wissenschaftliches “Neuland” bezeichnen kann, eine entsprechende umfangreiche wissenschaftliche Aufarbeitung hat dazu bislang noch nicht stattgefunden. In Österreich reichen die Anfänge dieser Geschichte zurück bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, als es zur Gründung der ersten Selbsthilfeorganisationen von Arbeitern kam, wobei sich Frühformen selbstverwalteter Versicherungseinrichtungen bereits mit den seit dem Mittelalter existierenden Knappschaftskassen festmachen lassen. Durch das Vereinsgesetz von 1867 wurden die Arbeiter-Unterstützungsvereine, die sich als Teil der jungen österreichischen Arbeiterbewegung sahen, auf eine entsprechende legale Basis gestellt. Weitere Selbsthilfeeinrichtungen der Arbeiter waren die seit Beginn des 19. Jahrhunderts bestehenden Fabrikskassen, spontane Zusammenschlüsse von Arbeitern in Fabriken und die 1868 auf Initiative der Arbeiterbildungsvereine in den einzelnen Kronländern errichteten Arbeiter-Kranken- und Invaliden-Unterstützungskassen, die sich 1876 zum “Verband der Arbeiter-Kranken- und Invaliden-Unterstützungsvereine” zusammenschlossen.
Finanziert wurden die Versicherungsleistungen der Arbeiter-Selbsthilfeorganisationen in erster Linie von den Arbeiterinnen und Arbeitern, in den meisten Fällen jedoch auch von Unternehmern bzw. bürgerlichen “Gönnern”, wenn auch in bescheidenem Maße. Daher ist bereits vor Einführung der Arbeiterversicherung (1887-1892) ein Einfluss dieser Personengruppen auf die Verwaltung dieser Einrichtungen festzustellen. Mit Einführung der Arbeiterversicherung in Österreich erfolgte auch die Integration der Arbeiterkrankenkassen in die gesetzliche Sozialversicherung, wobei eine Umbildung dieser Kassen auf Basis des Vereinsgesetzes von 1852 erforderlich war. Jene Unterstützungseinrichtungen, die innerhalb der Arbeiter-Fachvereine existierten, verweigerten die Umbildung und bestanden auch weiterhin als freie Selbsthilfeeinrichtungen der Arbeiterinnen und Arbeiter, verzichteten allerdings im Kontext der Einführung der gesetzlichen Unfall- und Krankenversicherung (1887/88) zum Teil auf den Fortbestand der Krankenunterstützungsfonds.
Im Hinblick auf die Frage der Selbstverwaltung kam der Einführung der Arbeiter-Krankenversicherung ein besonderer Stellenwert zu. Das Gesetz über die Arbeiter-Krankenversicherung von 1888, mit dem erstmals erhebliche Teile der österreichischen Arbeiterklasse in den Kreis der Versicherung miteinbezogen wurden, sah die Einrichtung von insgesamt sechs verschiedenen Kassentypen vor (Bezirks-, Betriebs-, Bau- und Genossenschaftskrankenkassen, Arbeiter- bzw. Vereinskrankenkassen sowie Bruderladen) und schrieb, mit Ausnahme der Bruderladen, deren Belange im Bruderladengesetz von 1889 geregelt wurden, für deren Verwaltung die Verbindung bestimmter Selbstverwaltungselemente mit einer entsprechenden Staatsaufsicht vor. Jene Arbeiterinnen und Arbeiter, die in keiner dieser Kassentypen versichert waren, wurden per Gesetz den Bezirkskrankenkassen zugewiesen, die von der staatlichen Verwaltung, auf Basis des Arbeiter-Krankenversicherungsgesetzes, eingerichtet worden waren, wie dies auch für die Unfallversicherungsanstalten zutraf. Im Hinblick auf die Verwaltung der einzelnen Kassentypen zeigten sich deutliche Unterschiede. Während die Vereinskrankenkassen ausschließlich von Vertretern der versicherten Arbeiterinnen und Arbeitern verwaltet wurden, setzten sich die Verwaltungsorgane der übrigen Kassen nach dem Schema zwei Drittel Arbeitnehmervertreter und ein Drittel Unternehmervertreter zusammen. Für die Verwaltungsorgane der Unfallversicherungsanstalten war gemäß dem Gesetz über die Arbeiter-Unfallversicherung, das 1888 in Kraft trat, Drittelparität vorgesehen (Unternehmer-, Arbeitnehmer- und Behördenvertreter). Der Unterschied zwischen Kranken- und Unfallversicherungsgesetz hinsichtlich der Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Verwaltungsorganen der Versicherungseinrichtungen ist eng mit der Frage der Finanzierung dieser Einrichtungen verknüpft. Während im Hinblick auf die gesetzliche Krankenversicherung Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Unternehmer für je die Hälfte der Beiträge aufzukommen hatten, entfielen in der Unfallversicherung 90 % der Beiträge auf die Unternehmer und 10 % auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Im Zuge der Etablierung der gesetzlichen Sozialversicherung kam es zu einer deutlichen Schwächung der Selbstverwaltung zugunsten einer massiven Staatsaufsicht, die sich in bestimmten Fällen bis hin zur Übernahme der gesamten Verwaltung von Krankenkassen durch die Behörden erstrecken konnte. Auf der anderen Seite konnte mit Einführung der Versicherungspflicht ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit für einen Teil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erzielt werden, der Anspruch auf Versicherungsleistungen war nicht mehr vom Goodwill des Unternehmers bzw. Gewerbetreibenden abhängig, sondern erhielt eine entsprechende rechtliche Basis. Zudem brachte die Taaffesche Sozialversicherungsgesetzgebung eine Erweiterung des Versichertenkreises (Fabriksarbeiterschaft) sowie die Harmonisierung der Versicherungsleistungen mit sich. Im Kontext der Einführung der gesetzlichen Sozialversicherung ergab sich für die Arbeiterklasse, die nach wie vor vom parlamentarischen Wahlrecht ausgeschlossen war, aufgrund des Rechts, Vertreter in die Verwaltungsorgane der Krankenkassen und Unfallversicherungsanstalten zu wählen, erstmals die Möglichkeit einer direkten Partizipation an der öffentlichen Verwaltung. Dabei existierte allerdings ein Gegensatz zwischen Theorie und Praxis, da den Arbeiterinnen und Arbeitern zwar formal diese Möglichkeit offenstand, es jedoch in der Praxis, etwa bei den Wahlen zu den Bezirkskrankenkassen, regelmäßig zu massiven Schikanen seitens der Unternehmer gegen die Arbeitervertreter kam. Diese brachten in diesem Zusammenhang immer wieder den Vorwurf des Wahlbetrugs gegen die Unternehmer ins Spiel.
Im Zeitraum von 1892 bis 1918 wurden lediglich Novellen zu den Stammgesetzen verabschiedet, die allerdings keine wesentlichen Änderungen im Verwaltungsbereich mit sich brachten. Eine Ausnahme davon bildete das Pensionsversicherungsgesetz für Privatbeamte (Privatangestellte) des Jahres 1906. Der Vorstand der zu errichtenden “Allgemeinen Pensionsanstalt” war paritätisch zusammengesetzt, je die Hälfte der Vorstandsmitglieder wurde von den Dienstnehmerinnen und Dienstnehmern sowie Dienstgebern von der Generalversammlung gewählt, wobei der Präsident des Vorstandes vom Innenminister ernannt wurde. Die Verteilung der Beitragslast war je nach Gehaltsklasse unterschiedlich: in den ersten vier Gehaltsklassen bezahlten die Dienstgeber zwei Drittel, die Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer ein Drittel der Prämien, in der fünften und sechsten Gehaltsklasse wurde die Beitragslast je zur Hälfte von den Dienstgebern und Dienstnehmerinnen sowie Dienstnehmern getragen.
Während es in diesem Zeitraum im legislativen Bereich nur zu marginalen Aktivitäten kam, gab es andererseits eine intensiv geführte Debatte um die Reform der Sozialversicherung in Österreich. Im Zuge dieser Debatte forderte die Regierung Koerber mit ihrem 1904 vorgelegten “Programm für die Reform und den Ausbau der Arbeiterversicherung” die völlige Übernahme der Verwaltung der Versicherungseinrichtungen durch das Innenministerium sowie die Abschaffung der der Arbeiterbewegung nahestehenden Genossenschafts- und Vereinskrankenkassen, nicht jedoch der von den Unternehmern geführten Betriebskrankenkassen. Dieser “Fiskalismus” (Leo Verkauf, 1906) wurde von den Vertretern der Arbeiterkassen massiv zurückgewiesen und zurecht als Versuch der Regierung interpretiert, eine Zerschlagung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung zu erreichen. Die Debatte über das Koerbersche “Programm” erstreckte sich bis ins Jahr 1908, in welchem der Regierungsentwurf über ein Gesetz betreffend die Sozialversicherung vorgelegt wurde, der in wesentlichen Punkten von Verhandlungsergebnissen des Arbeitsbeirates des k.k. Arbeitsstatistischen Amtes ausging. Sowohl das Koerbersche “Programm” als auch der Regierungsentwurf sahen eine massive Zurückdrängung der Selbstverwaltung zugunsten eines verstärkten Unternehmereinflusses sowie eines erweiterten Einflusses der staatlichen Behörden vor. In den Jahren von 1908 bis 1914 fanden, parallel zu weiteren Diskussionen im Arbeitsbeirat, im Sozialversicherungsausschuss des Abgeordnetenhauses Beratungen über den Beckschen Regierungsentwurf statt. 1914 wurde schließlich, ausgehend von den Ergebnissen der bisherigen Diskussionen, ein weiterer Regierungsentwurf über ein Gesetz betreffend die Sozialversicherung vorgelegt, dessen Realisierung aufgrund des Kriegsausbruchs verunmöglicht wurde, das jedoch eine der zentralen Grundlagen für die Reformen ab 1918 darstellen sollte.

Wessel Visser, Department of History, University of Stellenbosch, South Africa
“Getting RDP into Gear.” The ANC Government’s Dilemma to provide a System of Social Security for the “New” South Africa

Under minority rule a South African social security system was established along the lines of early social security in Western Europe where it evolved mainly as social insurance, first for the industrial workforce and later for the whole population. The expansion of this system to other racial groups ironically put South Africa in the uncommon situation of a semi-industrial country having the trappings of a modern welfare state, the core of which is the provision of a basic pension for everyone in need.
Soon after assuming power in 1924 the Nationalist-Labour coalition introduced affirmative “action style” legislation which reflected aspects of occupational insurance and social assistance. It served, inter alias, as an artificial bolster for white labour as an effort to address the poor white problem.
Black expectations of a social security system was already evident by 1955 when the so-called Congress of the People gathered near Johannesburg to endorse the Freedom Charter. The contents of the Charter reflected rudimentary elements of social security such as unemployment benefits, health insurance, social old-age pensions, disability grants and child and family grants. Prior to South Africa’s first democratic election in 1994 the ANC agreed in principle to adopt the Reconstruction and Development Programme (RDP) of the super trade union federation, COSATU – a programme that contained elements of social security in return for COSATU’s support in the elections.
The RDP originated in an attempt by labour to produce an accord that would tie a newly elected ANC government to a labour driven development programme. In line with the new constitution’s provision that all citizens are entitled to social security, the government soon established a very extensive welfare system, catering for the aged, disabled, children in need, foster parents and many others too poor to meet their basic social requirements.
However, the RDP soon ran into trouble. From the beginning the government lacked the capacity to implement it. As the RDP staff lacked proper implementation skills huge backlogs in providing access to basic services, as defined in the RDP, occurred. In addition, the new ANC government encountered its first major currency crisis in 1996. In order to calm domestic capital and foreign currency markets the government embraced a conservative macro-economic strategy – Growth, Employment and Redistribution, or GEAR.
GEAR inter alias implied that the repriotization of social service delivery budgets and municipal infrastructure programmes, in order to address the claims of the poor to a fair package of basic needs, should be introduced. Perhaps the most important difference between the RDP and GEAR was that, while the former expected the state to conduct a people-orientated development policy, the latter saw South Africa’s economic “salvation” in a high economy growth rate that would result from a sharp increase in private capital accumulation in an unbridled capitalistic system.
The ANC’s unilateral acceptance of GEAR would generate considerable internal disagreement, especially from the ranks of COSATU. Union opposition to privatisation in South Africa included concern about the socio-economic impact of restructuring and privatisation, since it would lead to enormous retrenchments and job losses and therefore labour-market insecurity. The unions also harboured fear of the loss of social security benefits, such as pension/providence, medical aid and other related benefits as part of any workplace restructuring/privatisation programme. Indeed, since the GEAR macro-economic strategy was announced, it did not enhance growth, employment or redistribution.
The ANC government has not as yet been able to satisfy the economic and social demands of labour through GEAR, which, in its turn, can also impact negatively on the effective delivery of social security needs to the latter.
The challenge facing South Africa is to offer a safety net for labour’s poor, of whom there are still many, mainly because of the absence of remunerated employment, while insuring those in employment against major contingencies such as loss of employment, old age, ill health and disability.

Rajagopal Dhar Chakraborty, Calcutta University
Population ageing and old age security in China and India

The demographic landscape in world’s two most populous countries of both India and China has seen unprecedented changes over the past 50 years of the post-Second World War era. A rapid and spectacular transition from high to relatively low mortality and fertility is not only slowing population growth but also fundamentally changing the age composition of the countries’ populations. The proportions of population aged sixty and above are rising and are projected to rise significantly in the next fifty years. The proportions of aged sixty plus were only 4.5% in China in 1950. It rose to 10% in 2000 but is projected to rise to around 30% in 2050. The proportion of aged in India was 5.6% in 1950. It rose very slightly to 7.8% in 2000 but is projected to rise to around 21.2% in 2050. A demographic time bomb or an “age quake” is ready to tremor both Indian and Chinese economy and society.
Although China is now much ahead on most of parameters of development, Chinese economic development is essentially one of recent origin and vast tract of economy and society still maintain features very close to that of major Indian socio-economic scenario. More than half of developing countries’ elderly (55.3%) and 64 % of Asia’s elderly live in these countries.
While multi-generational family is still the dominant family structure, the family systems in both countries are undergoing rapid changes. Rising costs of health and other costs of parent caring are causing enough hindrances in the smooth flow of intergenerational exchanges. With more and more women getting busy with more productive activities elsewhere, home caring for the aged are also not easier than before. Where women are combining multiple roles with caring for the aged, they are subject to considerable strain. The state is unable to provide social security for all aged. China provides old age social security to about 20% of its population. The percentage is only one in case of India. Even the existing system of support is insufficient and fast becoming non-viable with aged living longer than before.
Given this background, this paper looks into the future of old age social security and suggests viable individual, family and community level protective measures for the old age.

Zhang Minje, Department of Social Work, Hangzhou University of Commerce, China
From Family Security and Unity Security to Social Security: An outline on China’s Social Security System since 1950

Before 1949, China basically was an agrarian society with a very small proportion and short history of modern industry. Correspondingly, there were almost no governmental social security programmes except temporary programmes of poor relief. In most places and normal years, the family, clan and land were the resources for social security. In short, family as the most fundamental social unit should fulfill its duties to the state while providing every kind of security for its members. Besides, the mutual help and support among relatives was another factor that contributed to the strengthening of family security. So that family security was a typical pre-industrial pattern of social security.
After the Chinese Communist Party took over national power, social security system was established in early 1950s for taking care of such cases as retirement, industrial injury, birth, illness and death. This system was immediately put into practice in state, joint stat-private, private and cooperative enterprises if they employed more than one hundred workers. With the completion of the socialist reform drive later in that decade, and the consequent change of ownership of the enterprises, the security system went into effect in all state and joint state-private enterprises. Similar systems were also gradually established for collectively-owned enterprises in urban districts and county towns, in state institutions and government organs toward the end of 1950s. So the state bore the responsibility of arranging for the employment of city and town dwellers. Once a city laborer became a unit member, the unit then would take over the responsibility for Otherwise, this security system provides coverage only to those working in state organs and institutions, state-owned enterprises and some of the collective enterprises. Workers in other collective enterprises, the self-employed and farmers, which together make up 70 percent of the population, have no social security coverage. From the point of author’s views, this security system is unfair to most laborers, and is a unique security system – the work unit system. It had secured people in urban areas against poverty, begging, unemployment, and bankruptcy. It was once an essential guarantee to normal urban life. As a result, Chinese farmers and those laborers outside this security system had to relay excessively upon their children for security in their old age. Social security was hardly available to them, and they don’t have enough money to afford the costs of accidents and calamities.
Statistics show the direct expenditure on social security was 110.3 billion yuan in 1990. Among the payments, 97.7 billion yuan were for the urban population, 88.6 per cent of the total, 413 yuan per capita; 12.6 billion yuan for the rural population, 11.4 per cent of the total and 14 yuan per capita. Payment for urban residents are nearly 30 times more than that for rural residents who make up more than 80 per cent of the country’s population.
Since China launched its economic reform program in late 1970s, social security systems have undergone the following changes: 1, raising the retirement pension fund from the whole society; 2, experiment of the old-age insurance system; 3, insurance for the unemployed; 4, reform experiment of health care plan; 5, initial steps of reforming the industrial injury insurance system. In this process, the old unequal, employment-based system is being transformed into a more equal, more comprehensive, more economical system. There are at least two trends concerning the social security system. The first is that the government’s control over economy is relaxing, and the urban residents are losing their benefits of price subsidies, such as low prices for food and housing. Secondly, as the state enterprises are exposed to the market, the unemployment is becoming serious. Therefore, the most urgent task in urban areas now is to establish a new, rational and effective social security system to deal with possible poverty.
At present, social security systems covered more than one hundred million, or about 90 percent of the work force in cities and towns in China. However, the uncertainties of life in conditions of rapid social, economic change create a need for the comfort of the social security support. China also faces the problem of an aging population. Family planning and change of lifestyles have reduced the function of the family as an insurance factor. All these issues depend on improvement of the social security system and development of the insurance industry for solutions.

Wang Xueyu & Hu Jin, Centre for European Studies, Shandong University, P.R. of China
The Minimum Living Standard Security System for Chinese Urban Residents

Since the People’s Republic of China was founded in October 1949, the system of low income and high percentage of employment had been practiced in Chinese cities. In such a system, there was little gap of salaries between people in different vocations, and all the social security programs like medical care and old-age pensions were generally conducted by government organs, institutions and enterprises, on a low and inefficient level.
Since the 1990s, the urban poverty has been more and more obvious, and gradually became an urgent issue that influences economic development and social stability. In cities of different sizes, especially in some old industrial bases, there appear some low-income people, while in some eastern coastal cities, there are a small group of people who have become rich first as well as some low-income people. Besides people who have no laboring ability or statutory supporters or source of income, the handicapped and the disadvantaged groups, low-income people also include in-service workers, laid-off workers, the unemployed and the retired workers, who are new disadvantaged groups from some ill-benefited state-owned enterprises and collective enterprises, and these people constitute a bigger and bigger ratio in the whole disadvantaged groups. The absolute number of these people tends to rise and they have developed into the main body of the urban poverty population in China.
The Chinese urban anti-poverty system is composed of the employment system, the social insurance system, the social relief system and other systems including aid-the-poor programs in education, the medical help and the reduction or exemption of tax and fee. Having been practiced in China for a dozen of years, the anti-poverty activities and policies form a tremendous systemic project and are being gradually improved, tending to be an institutionalized system.
In the Chinese urban anti-poverty system, the minimum living standard security system is the most important one, and shoulders the most important task. Therefore, it is reasonable that this system is regarded as the foundation of the Chinese urban relief system. Due to its importance and great value, this paper puts emphasis on the introduction and evaluation of this system.
Under the circumstances that the Chinese social security system is not fully developed, the minimum living standard security system is particularly important because it can provide subsistence allowances for all the urban poor and promote reform of the state-owned enterprises, thus securing the stability of society and the economic development.
This system did not come from the Central Government’s design, but came into being with the need of the situation, and it is popularized gradually from the local governments to the Central Government. Therefore, it should experience a sequent course of creation, popularization, improvement and finally maturity, which demands that the local governments establish rules first, and then the Central Government formulate nationwide regulations. At present, this system is being improved and perfected.
The minimum living standard security system was initiated in Shanghai in 1993 with there were many workers lost their working opportunities for the benefit of the state due to the economic reform, and became disadvantaged groups. Based on some experience gained from several years of practice, the State Council enacted the Ordinance of Subsistence Allowances for Urban Residents in September 28, 1999 (its implementation from October 1, 1999), which ordains that “All of the urban households with non-agricultural registered residence, whose family members get the per capita income less than the minimum living standard of local residents, have the right of obtaining the subsistence substances”, and that “The minimum living standard security system for urban residents is in the charge of local governments at different levels”.
According to the statistics, the recipients receiving subsistence allowances include particularly impoverished workers who are composed of laid-off workers, off-service workers, retired workers and part of in-service workers, and traditional relieving objects (i.e. people who have no laboring ability or statutory supporters or source of income), with the former accounting for over 51 per cent and the latter 5 per cent. A further analysis of particularly impoverished workers indicates that 59 per cent of these workers come from state-owned enterprises, while 41 per cent of them collective enterprises. Obviously, poverty of these workers results from the economic reform, and they are victims of this reform. Therefore, governments at different levels are obliged to secure their subsistence. In other words, these workers have the right of obtaining the security of subsistence.
In both the Circular about Establishing the Minimum Living Standard Security System for Urban Residents around the Country which was promulgated on September 2, 1997 and the Ordinance of Subsistence Allowances for Urban Residents, the State Council decrees that the minimum living standard security system for urban residents should be in the charge of local governments at different levels, and that the fund needed should be adopted into the financial budget of local governments and classified into special items of social relief funds. This decree settles the long-time controversy between regulation according to residence and regulation according to residents, and avoids the mutual buck-passing of government organs concerned. It also signifies great progress of the social relief system because it can prevent the work of helping the urban poor from being totally undertaken by enterprises. The defects of this decree lie in that financial situations of different districts are not the same, with some districts being well off while some not developed. For governments in the backward districts, it is very hard to raise the relief funds and then offer subsistence allowances to the urban poor. Furthermore, the number of recipients of subsistence allowances and the particularly impoverished workers varies greatly around the country, and the gap between some districts is surprising.
Since 1999, the Central Government has begun to offer the funds of subsistence allowances to the urban poor, and the offer tends to increase year after year with yearly supplementary items to the annual budget. The criteria for eligible recipients of subsistence allowances and the number of these recipients are stipulated by governments at different levels, with the criteria being stipulated on the municipal level and then submitted by local civil administration organs to the Ministry of Civil Affairs. There is no uniform criterion for recipients of subsistence allowances in China, most of the municipal governments in China fix the criterion for the consumption of every person per month according to a nutritional subsistence list by which the restoration of one’s labor can be fulfilled. In fact, the lowest criterion is about one half, or even one third of the highest criterion. Therefore, it is in conformity with the national conditions of China to adopt different relieving criteria in different districts, but the general tendency is rising.
In the long views, it is also necessary to establish the subsistence allowances system in rural areas, and to study how to combine the subsistence allowances system for urban residents with that for rural residents and lay down relevant regulations.

Nils Edling, Department of History, Stockholm University
Universalism for the working class: Northern European unemployment insurance in the 20th century

This paper traces and compares the different histories of Nordic unemployment insurance over the last century. Denmark, Finland, Norway and Sweden form the core of the paper; Iceland will be treated more cursory. Focus will be on the period up to the 1950s. The reason for this is the fundamental long-term institutional stability that characterizes the systems. With the exception of Norway, which in 1938 introduced a compulsory insurance, the Nordic countries have up to this day retained their voluntary schemes. This makes Denmark, Finland, Iceland and Sweden unique in an international perspective.
Three interrelated themes are discussed in the paper: the timing of reforms, the prime movers behind reforms and the question of universalism. They all relate to the main question concerning the role of organized labour – both parties and unions – in the history of Nordic (Scandinavian) unemployment insurance. Norway and Denmark were among the first countries to introduce public unemployment protection schemes on a national level in 1906 and 1907. Finland followed in 1917 while Sweden (1934) and Iceland (1955) lagged behind. These differing timetables demand explanation. Questions about timing lead to questions about the arguments forwarded and actions taken by different societal agents, e.g. political parties, state bureaucrats, employers and unions.
In the literature, Nordic insurance programmes are usually labelled “universal” or “comprehensive”. Organized labour has introduced and defended universalism, runs the conventional wisdom. Such statements draw attention to the inclusion/exclusion of social groups and occupations in the voluntary insurance schemes. The position of women is of course of outmost importance here. So is the inclusion of both female and male seasonal workers and salaried employees, and the key question here concerns the position of organized labour on these issues. The answer forwarded is that the insurance for a long time was an organizational privilege for male union members and that organized labour never has championed universalistic insurance covering the entire working population. This might be a provocative conclusion. However, it is clear that organized labour over time first and foremost has given the consolidation of union strength priority and that unions have defended their corporatist monopoly; the controversy in Denmark in the 1960s when a multi-trade white collar unemployment fund outside the Landsorganisationen (Confederation of Trade Unions) applied for state recognition in order to receive financial support and initially met staunch opposition from organized labour well illustrates this point. The joint resistance mounted by the Swedish funds in the late 1940s and early 1950s explains the failure to introduce a compulsory system, and the collapse of ‘the labour reform’‘, which included compulsory public unemployment insurance, in Finland in the first half of the 1990s provides another example of this successful defence of organizational privileges.
The extended coverage, reaching 80–90 per cent of all employees, of the last few decades has produced universalistic insurance of a kind. It is possible to interpret the uniquely high levels of labour market participation and unionisation including membership of an unemployment benefit fund as a form of social citizenship. Paid work, commodification, in this sense constitutes a prerequisite for social citizenship in the Nordic welfare states.

Tapio Bergholm, Senior Lecturer, University of Helsinki
Child Benefit System as Solution and a Problem in Finnish Industrial Relations. Employers, Trade Unions and State constructing the Finnish Welfare State 1947-1948

The aim of this paper is to discuss some prevalent theories about the making of or the development of Welfare States. The main argument of this paper is that the making of Finnish child benefit system was very fuzzy indeed. Therefore generalisations that political, cultural or religious structures some how predestined the Nordic Welfare Model are quite problematic from Finnish perspective.
Theories and discussion about the Welfare State have previously concentrated on pension schemes, on health insurance systems or on provisions for industrial accidents. Peter Baldwin (1990) or Gøsta Esping- Andersen (1991) do not find child allowances central for their theories about the making of different models of welfare states. General child benefit system was first and for a long time the most expensive general welfare reform in Finland, therefore the development of governmental decisions and legislation about child allowances is essential in analysing Finnish Welfare Model.
Due to scarcity of necessities and heavy burden of war reparations to Soviet Union Finnish economy had full employment and high inflation after the Second World War. Individual Unions and The Confederation of Finnish Trade Unions (SAK) made often claims for higher wages. Faced with accelerating inflation and in autumn 1947 with a threat of general strike Finnish Employers’ Confederation (STK) tried to find new solutions in their effort to curb the wage inflation. STK made an analysis that it could be cheaper to supplement only wages of men, who had children. The idea was based on calculation, that rise in food prices hit harder families with children.
This Central European family wage system was adopted in negotiations between STK, SAK and popular front government. Some kind of fund balancing the costs of individual employers was planned. Due to lack of legislative powers of government, impatience of unions and workers, and resistance of employers in several sectors family wage system, gainful for men, became just short introduction to general child benefit system. Employers and farmers had gained permission to rise prices, when government tried to implement family wage system, therefore parliament, when it passed child benefit laws, also decided that employers should take part of the burden in financing the new welfare provision.
All mothers got from autumn 1948 same amount money per every child. So, in the end of the day, initiative made by employers to supplement the pay bag of men brought more resources to the household budget controlled by women.

Seppo Hentilä, Department of Social Science History, University of Helsinki
Why did the Scandinavian Social Security System become a Model?

The Welfare State reached in Scandinavia (Nordic countries) during the 1960s a status of a model, which was perceived by the outside world almost as an unattainable utopia. Also in the self-concept of most Scandinavian people, as well as in the comparative social research, the Scandinavian Model has become a valid concept.
During the post-war decades one of the most significant developments in Scandinavia was the expansion of the public sector together with the active involvement of the state in terms of economic and social policy. In the universal welfare system of the Scandinavian countries basic services and social transfers covered all citizens, whereas in other Western European countries the benefits were tied to one’s position in the labour market. This meant that the continental system tended to be more status preserving than the Scandinavian one. Scandinavian welfare states were characterized by very high share of public consumption.
Despite certain variations in the economic and social development, all Scandinavian countries were characterized by a welfare system with universal and egalitarian social security schemes, comprehensive public health care, a high level of income equality and redistribution through tax-financed benefits. During the bloom of the welfare state, until the mid-1970s, the Scandinavian Model was often praised to the skies. The Welfare State would remain in World History as the “success story of the 20th century”, which would otherwise be characterized as the dark century of two World Wars and totalitarian regimes.

Seth Wigderson, University of Maine at Augusta (Maine) / University of Manitoba, Winnipeg (Kadnada)
The Beveridge Report, Old Age Security, Equality and Workers Power in Britain, Canada and the United States

This paper will use the effect of the 1942 Beveridge Report on the development of government old age programs in Britain, Canada and the United States as a means of examining how the varying political strength of each nation’s labor movements was reflected in their degree of success in winning an egalitarian program. Each of these countries had already created well-established, minimal, old age programs. In each the organized labor movement seized on William Beveridge’s Report on Social Insurance to recommend a cradle to grave welfare system. One of the principles of Beverdige’s proposal was equal benefits. In this, the proposal paralleled the labor call for equal treatment as well as the general bargaining demand of wage equalization. I argue that labor political strength was a key factor in determining the degree of equal treatment in each nation’s old age system.
In Great Britain the Labour Party’s embrace of the Beveridge Report was an important factor in differentiating Labour from the Conservatives and helping the Party to win its smashing 1945 victory. The Attlee government then brought in a Beveridge style welfare program with flat, if inadequate, old age payments. Even the Conservative victory in 1951 did not immediately end flat payments. Only in the late 1950s did Labour finally accept the proposition that those who had earned more deserved higher government retirement benefits.
In Canada there was no Labour Party. But the Canadian Commonwealth Federation (CCF) functioned as sort of social democratic party bringing together prairie and labor radicals. The CCF grasped the Beveridge Report as representing its vision for Canada’s future. The CCF’s advocacy of Beveridge’s vision helps accounts for its electoral upsurge in 1943. Only when the Liberal government announced its commitment to a decent welfare system was the CCF’s advance blocked. After the war the industrial unions in the Canadian Council of Labour used their strike power to help force the government to create a non-means tested basic pension at age 70. Subsequently the CCF and its successor the New Democratic Party (NDP) helped introduce and foster larger welfare programs, although labor did come to accept unequal government old age benefits.
In the United States, there was no labor party. The 1935 Social Security Act had created an old age pension system which paid differential benefits based on lifetime earnings. However, the newly founded Congress of Industrial Organizations (CIO) opposed unequal benefits and joined others in calling for a flat payment to all at age 60. When Beveridge issued his report the CIO joined with the American Federation of Labor in throwing labor support to the Murray-Wagner-Dingell Bill for a comprehensive welfare program. But when Sen. Wagner explained that the bill needed differential benefits to pass the U.S. Congress, the young labor federation dropped its egalitarian demand. By 1949 a conservative Congress had nearly starved to death the old age pension scheme. The CIO unions launched a successful coordinated fight for private company pensions to pressure the employing class to relent and allow government to revive the evaporating plan which was done in 1950 only after a million workers had gone on strike. In later years the old age pension was extended and strengthened but unlike Canada or Great Britain the U.S. plan has never had any egalitarian component.
In conclusion, by comparing these three countries, we can see how greater labor political power created a more egalitarian system.

Patricia Flier, Universidad Nacional de La Plata, Argentinien
Social Security in Argentina: from maturity and overloading of the system to crisis. 1946-1976

The present crisis in Argentina and particularly the evident limits of the structural reform applied to the Social Security system during the Nineties make it necessary to analyze the historical evolution of the social security in our country. The gravity of the situation impels us to carry out meticulous analysis of the previous models, since the supporters of the present reform saw precisely in those models and in the limits of the benefits provided by them the main reasons that made structural changes inexorably necessary.
The paper will focus on the evolution of social policies since the Forties and the characteristics of the peronist government’s intervention in the social field, until the changes that took place in the Seventies as a consequence of a new economic strategy.
The peronism, that expanded the state intervention levels and redefined the political relations between the social classes, generated a transformation of the social policies, but on the basis of sectorisation and against universalist criteria. The choice of assistance in terms of “justice”, and of the regulation of the market and of the labor relations in terms of “rights”, founded a new model of social security. The category of worker was redefined and expanded, covering –and giving identity to – a series of categories going far beyond that of “industrial worker” and corresponding in fact to that that of “formal wage-earner”.
So, in Argentina the social rights remained attached to the category of formal worker. As a consequence, the social security system developed of the basis of the category of “worker” and not of “citizen”. That’s why it limits its reach and prevents the universality and the uniformity of benefits financed with general incomes of the State. This limits the possibility of extending the social security to the whole population, which was the core idea of the national insurance claimed unanimously by the Argentinian labor movement Argentine during the Thirties.
Rather than a process of enlargement and conquest of the citizenship by the workers (a typical process of the central countries in the building of the Welfare State), what happened in Argentina was the subsumption of the citizenship into the “Rights of the Worker”.
The tension between universality and particularisms characterized the Argentinian model of social security and took various forms in the field of health and social insurances. These limits, as well as the demographic factors, the levels of social protection, the evasion of dues, the characteristics of the financing of the system, the inequity, the privileges and a confused system of norms, generated a fragmented system of negative redistribution that gave rise to constant intents of partial reforms that failed to eliminate the lack of balance of the system. A critical overview of the evolution of the system and a precise singling out of the underlying objectives in the field of social policies and uses of the Social Security will help to understand some central points of the recent Argentinian past.

Martina Rupp, Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Philipps-Universität Marburg/Lahn
Altersvorsorge in der BRD und DDR in den 1950er und 1960er Jahren

Der Begriff der Altersvorsorge umfasst im engeren Sinn die Planung eines existenzsichernden Einkommens für eine spätere Lebensphase, die durch eine nachlassende Erwerbstätigkeit gekennzeichnet ist. Im weiteren Sinne bezieht sich die Altersvorsorge auf ein bestimmtes Lebensalter und schließt alle Einkommen, die in diesem Lebensalter erzielt werden, sowie reale Transferleistungen mit ein. Zum Einkommen zählen neben dem Erwerbseinkommen aus Altersarbeit öffentliche oder private Transferleistungen sowie Einkommen aus privater Vermögensbildung. Zu den Transferleistungen zählen insbesondere familiäre Leistungen in Form von unentgeltlicher Pflege und zeitlichem Aufwand, den Familienangehörige bei der Betreuung und Unterstützung älterer Menschen aufwenden, die jedoch im Folgenden nicht ausgeführt werden.
Eine wesentliche Grundlage für einen Vergleich der Altersvorsorge in der BRD und DDR und den Brückenschlag zu den Lebensverhältnissen alter Menschen ist die Altersversorgung, die ein Teil des Gesamtssystems der Alterssicherung darstellt. Gemäß einer funktionalen Definition sie sich nicht auf ein bestimmtes Lebensalter, sondern auf ein so genanntes Alterseinkommen, das jenseits der regulären Erwerbstätigkeit erzielt wird. Dazu gehören im Allgemeinen die öffentliche Rentenversicherung, die berufliche Altersversorgung und die private Altersvorsorge, nicht jedoch Einkommen aus Altersarbeit, familiäre Leistungen oder Sozialhilfe. Letztere müssen jedoch bei der Bewertung des Lebensstandards zweifelsfrei miteinbezogen werden, da sie in bestimmten Zeitabschnitten einen nicht unwesentlichen Anteil am gesamten Alterseinkommen hatten.
Bei der komparativen Betrachtung der Altersversorgung in den beiden deutschen Staaten in dem genannten Zeitraum stellt sich unweigerlich die Frage nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten. Diese Frage ist natürlich nicht neu, jedoch liefert sie Erkenntnisse über zwei bis heute aktuelle Aspekte der Sozialpolitik im Allgemeinen und der Altersversorgung im Besonderen:
° Welchen Einfluss haben politische Systemveränderungen und wirtschaftliche Entwicklungen auf die Ausgestaltung der Alterssicherung ?
° Welche Auswirkungen haben die unterschiedlichen Systeme der Altersvorsorge auf den Lebensstandard alter Menschen ?
Der Fragestellung wird zunächst auf institutioneller Ebene anhand von vier wesentlichen Aspekten sozialer Alterssicherungssysteme (Trägerinstitutionen, Finanzierungsverfahren, Aufnahme bzw. Ausschluss aus dem Sicherungssystem und arbeitsmarktpolitische Einflussgrößen) nachgegangen. In einem zweiten Schritt wird auf der Ebene des Lebensstandards alter Menschen auf die sozialen Auswirkungen der veränderten Rahmenbedingungen eingegangen.
Nach der Teilung Deutschlands wurden in den beiden deutschen Staaten zwei unterschiedliche Wege staatlicher Sozialpolitik eingeschlagen. Während in den drei westlichen Zonen an das institutionalisierte Sozialversicherungssystem, wie es vor der Verstaatlichung 1934 Bestand hatte, und an das Rentenmodell der Weimarer Republik angeknüpft wurde, wurde in der SBZ mit der Einführung der Einheitsversicherung für alle Erwerbstätigen 1947 und der Integration der Rentenversicherung darin eine richtungsweisende Veränderung vorgenommen. Das Prinzip der Volksversicherung wurde auch nach 1956, als die Sozialversicherung institutionell in eine Arbeiter- und Angestelltenversicherung unter Verwaltung des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) und eine Sozialversicherung der Genossenschaftsmitglieder und weniger Selbstständiger unter dem Dach der Deutschen Versicherungsanstalt (DVA) untergliedert wurde, beibehalten. Als Teil der staatlichen Sozialversicherung wurde die Altersversorgung zentral geleitet und wurde nun endgültig auf das Umlageverfahren nebst staatlichen Zuschüssen umgestellt. Eine Kopplung der Rentenhöhe an die Bruttolohnentwicklung, wie dies in der BRD durch die Einführung der dynamischen Rente 1957 erfolgte, wurde in der DDR nicht umgesetzt. In den 50er und 60er Jahren wurden zahlreiche Rentenanpassungen vorgenommen, die jedoch an dem insgesamt sehr niedrigen Rentenniveau wenig änderten. Die Ausweitung des Versichertenkreises unter Einbeziehung weiterer Berufsgruppen beim FDGB sowie der DVA führte dazu, dass Ende der 60er Jahre für fast alle, die in einem Arbeitsverhältnis standen oder einer Erwerbsarbeit nachgingen, die gesetzlich geregelte Versicherungspflicht die Norm war. Erst die Neuordnung des Rentenrechts 1968, die durch das Scheitern des Neuen Ökonomischen Systems (NÖS) notwendig geworden war, brachte durch die Erhöhung der Mindestrenten und des Ehegattenzuschlages sowie eine geänderte Rentenberechnung eine Verbesserung der materiellen Lebenslage der RentnerInnen. Sie konnte jedoch die insgesamt unzureichende Altersversorgung nur in Ansätzen abfedern und den niedrigen Lebensstandard der damaligen Rentnergeneration kaum anheben. Mit der Schaffung einer Freiwilligen Zusatzrentenversicherung setzte die DDR erstmals Akzente im Bereich der privaten Altersvorsorge, die das bisherige Ein-Säulen-Modell in Form des staatlichen Rentensystems ergänzte und die Nivellierung der Renten verstärkte.
Kennzeichnend für die Altersversorgung in der DDR in diesen beiden Jahrzehnten war die starke Abhängigkeit von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung und die Ausrichtung auf arbeitsmarktpolitische Grundsatzentscheidungen, der selbst gesetzte Anspruch der Angleichung der Lebensverhältnisse sowie der Vorrang des Versorgungsprinzips, u. a. durch die Einführung einer Mindestrente, vor dem Versichertenprinzip. Allerdings wurde jedoch der offizielle Gleichheitsgrundsatz durch ein kompliziertes System von Zusatz- und Sonderversorgungssystemen für bestimmte Berufsgruppen konterkariert. Im Hinblick auf die oft angeführte Sowjetisierung weiter gesellschaftlicher Bereiche in der DDR, trifft dies auf den Bereich der Alterssicherung nicht zu. Vielmehr wurden Ideen und Konzepte der Arbeiterbewegung, u. a. die Einheitsversicherung und die Mindestrente, aufgegriffen.
In der BRD griff man den Grundsatz aus der Weimarer Republik, dass die Renten aus der öffentlichen Rentenversicherung nicht nur ein Zuschuss zum Lebensunterhalt, sondern ein existenzsicherndes Sozialeinkommen darstellen sollen, wieder auf. Die Renten wurden zunächst in unregelmäßigen Abständen der wirtschaftlichen Entwicklung angepasst. Mit der Einführung der so genannten “dynamischen Rente” 1957, die u. a. als Bemessungsgrundlage für die Berechnung einen gleitenden Dreijahresdurchschnitt der Bruttoarbeitsentgelte aller Versicherten heranzog, war man dem Ziel, ein Lohnersatzeinkommen im Alter zu schaffen, einen wesentlichen Schritt näher gekommen. Für die meisten RentnerInnen bedeutete dies eine spürbare und deutliche Verbesserung ihrer augenblicklichen materiellen Lebenssituation. Die Finanzierung erfolgte durch das Umlageverfahren, staatliche Zuschüsse waren nur bei politisch gewollten Zusatzleistungen vorgesehen. Der Wegfall der Mindestrente sowie der Vorrang des Versicherungsprinzips (“Beitrags-Leistungs-Äquivalenz”) sind nur zwei von vielen Punkten, die diametral zu dem in der DDR praktizierten Modell standen. Auch die Pluralität der Versicherungsträger sowie der Versorgungssysteme, wie sie bereits in Anfängen im Kaiserreich existiert hatte, blieb in der BRD im Unterschied zur DDR als Kontinuum erhalten. Die Trennung von ArbeiterInnen und Angestellten in der Renteversicherung, die Gliederung der Arbeiterversicherung in Landesversicherungsanstalten, die zentrale Verwaltung der Angestelltenversicherung, die knappschaftliche Rentenversicherung für Bergleute und das öffentliche Beamtenpensionssystem sind hier in erster Linie im Bereich der öffentlichen Rentenversicherung zu nennen. Im Rahmen des so genannten “Drei-Säulen-Modells” der Alterssicherung stellte die öffentliche Rentenversicherung die erste Säule dar. Sie wurde ergänzt durch die betriebliche Altersvorsorge (2. Säule) und die private Altersvorsorge (3. Säule). Die betriebliche Altersvorsorge wurde nun dauerhaft etabliert und bei den berufsständischen Versorgungswerken, die ebenso dem Bereich der beruflichen Altersvorsorge zugeordnet werden, kam es zu Ausweitungen und Neugründungen (z. B. Einführung der Altershilfe für Landwirte 1957). Die private Altersvorsorge in Form von Lebensversicherungen oder privater Vermögensbildung erfuhren dank der anhaltenden wirtschaftlichen Expansion sowie der veränderten Risikoeinschätzung der AnlegerInnen einen deutlich Aufschwung.
Zusammenfassend lässt sich für die BRD in diesem Zeitraum konstatieren, dass die Rentenreform von 1957 als herausragende sozialpolitische Errungenschaft dieser Zeit eine Weichenstellung für die Weiterentwicklung des gesamten Alterssicherungssystems darstellte. Seit dem Ende der 1950er Jahre stellte die öffentliche Rente für die meisten älteren Menschen ein verlässliches und ausreichendes Alterseinkommen dar, das durch die berufliche und private Altersversorgung ergänzt wurde.

Stefan Bollinger, Berlin
Sozialstaat DDR – nur Erinnerung – oder Herausforderung?

Zu den bleibenden Erfahrungen der Ostdeutschen auch nach der 1989/90 gewollten deutschen Einheit gehört die Erinnerung an soziale Sicherheit und Sozialstaatlichkeit in der DDR. War zu Wendezeiten für sie der Besitz sozialer Rechte und Möglichkeiten sowie Institutionen aus der DDR eine Selbstverständlichkeit, an der sie nur Kritisches auszusetzen hatten, so stellten sie alsbald fest, dass das Überstülpen der westdeutschen Strukturen zwar materielle Verbesserungen, aber auch die Einkehr entpersönlichter, entfremdeter profitorientierter Strukturen mit sich brachte. Die Erwartung der Wendezeit, dass in die Einheit die jeweils positiven Erfahrungen beider Staaten und Systeme eingehen würden, hat sich angesichts der westdeutschen Dominanz rasch zerschlagen. Keineswegs nur ostalgisch erfolgt eine Rückbesinnung auf DDR-Strukturen, die etwas mit einer positiven Grunderfahrung aus dieser Zeit zu tun hat. Sie ist die wesentliche Grundlage auch für eine neu zu beobachtende DDR-Identität, die erst nach dem Untergang des 2. deutschen Staates so zum Tragen gekommen ist.
In der gängigen Vergangenheitsaufarbeitung, die seitens der politischen Klasse wie auch einer Mehrheit der Historiker und Politiker vorgenommen wird, dominiert die Sicht der DDR als “totalitäre Diktatur”, “Unrechtsstaat” und “durchherrschte Gesellschaft”. Wenn über sozialpolitische Leistungen und Strukturen der DDR im engeren wie im weiteren Sine gesprochen wird, dann werden sie allein als Machtinstrumente der SED-Führung angesehen, die mit sozialen Zugeständnissen politisches Wohlverhalten ihrer BürgerInnen zu erkaufen suchte. Nur wenige Untersuchungen sind bereit, die Sozialpolitik der DDR nicht nur post festum als Ausdruck eines gescheiterten Zwangssystems zu untersuchen und zu akzeptieren, sondern auch andere als Vergleiche mit dem NS-Regime zuzulassen. Angesichts der nach der deutschen Einheit in Deutschland vollzogenen neoliberalen Wende liegt der Verdacht nahe, dass mit der Entsorgung der DDR als “totalitärem Regime” gleichzeitig auch eine Entsorgung sozialistischer wie sozialstaatlicher Elemente einhergehen sollte.
Ein Vergleich mit der westdeutschen, generell der deutschen Geschichte seit Bismarcks Sozialreformen, den sich entwickelnden sozialstaatlichen Strukturen und Leistungen, die Einbeziehung auch eines Vergleichs mit außerdeutschen Staaten, die im Unterschied zur Bundesrepublik z. B. genauso wie die DDR zentralstaatlich organisiert waren, könnten die Sozialpolitik in der DDR in einem komplexeren Licht erscheinen lassen. Sichtbar ist die DDR-Sozialpolitik der Versuch der Umsetzung von humanistischen Idealen der Arbeiterbewegung gewesen. Dabei ist auffällig, dass trotz der engen Anlehnung an das sowjetisch-stalinistische Sozialismusmodell in der DDR deutlich eigenständige deutsche Wege nicht zuletzt unter Rückgriff auf sozialdemokratische wie kommunistische Erfahrungen insbesondere aus der Weimarer Republik gegangen wurden. Und diese Wege hatten zumindest in den 60/70er Jahren auch einen positiven Einfluss auf das bundesdeutsche DDR-Bild wie auf die spezifische Systemauseinandersetzung zwischen beiden deutschen Staaten.
Es ist sinnvoll, die DDR-Sozialpolitik in einem weiten Sinne (d. h. soziales Sicherungssystem, aber auch Bildungs-, Gesundheits-, Bevölkerungs- und Frauenpolitik, auch Wohnungsbau und nicht zuletzt Subventionspolitik) so zu betrachten, wie sie im Selbstverständnis der DDR auch praktiziert wurde: Nicht allein als Sicherungssystem für soziale Notlagen, sondern als ein umfassender Versuch, in der Gesellschaft die Ideale von sozialer Sicherheit, sozialer Gerechtigkeit, auch von Gleichheit mit einem hohen Maß an Solidarität durchzusetzen. Dass dabei Machtfragen wie bei jeder Sozialpolitik in jeder Gesellschaft eine Rolle gespielt haben, ist einsichtig und keine DDR-Besonderheit. Zu den Besonderheiten des DDR-Sozialismus gehört sicher ihre ritualisierte Form der Verkündung, vor allem aber die einsamen Entscheidungen der obersten politischen Führung, einzelne Maßnahmen einzuführen. Denn diese Sozialpolitik wurde als eine paternalistische, auch patriachale Politik betrieben, die kaum auf die aktive Einbeziehung der Betroffenen setzte, trotz gerade auch in diesen Bereichen vorhandenen demokratischen Strukturen.
Das umfassende Demokratiedefizit der staatsozialistischen Machtausübung erwies sich als das selbstzerstörerische Element, das spätestens in den ausgehenden 70er Jahren einen unverzichtbaren Umbau der DDR-Sozialpolitik verhinderte. Zielgenauigkeit, Effizienz, Qualität und vor allem Anerkennung der sozialpolitischen Leistungen nahmen in diesen Jahren eine negative Entwicklung und schufen auch jenes Klima, dass zum gescheiterten Versuch einer sozialistischen Erneuerung der DDR und schließlich zum Ausweg einer deutschen Einheit unter kapitalistischen Vorzeichen führte. Nichtsdestotrotz sind die Erfahrungen wie auch wesentliche Strukturen der DDR-Sozialpolitik – von den Polikliniken bis zum polytechnischen Prinzip in der Schulbildung – Erfahrungen, die auch für moderne Alternativkonzepte von Bedeutung sind. Leistungen wie Defizite der DDR könnten wichtige Anhalte für neue Vorschläge sein. Vor allem stehen sie im Gegensatz zu jeglichen Tendenzen einer als Umbau getarnten Zerstörung des Sozialstaats, wie er unter unterschiedlichen ideologischen Verkleidungen gegenwärtig nicht nur in Deutschland praktiziert wird.